Andrea Braein Hovig und Thomas Gullestad in "Oslo-Stories: LIEBE" © Alamode Film
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Romantisches Drama - "Oslo Stories: Liebe" von Dag Johan Haugerud

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In seiner Heimat Norwegen ist Dag Johan Haugerud schon länger bekannt und erfolgreich. Seit letztem Jahr wird er mit seinem ambitionierten Oslo Stories-Projekt auch international wahrgenommen: In drei voneinander unabhängigen und doch miteinander vernetzten Filmen umkreist er die jeweils titelgebenden Themen Liebe, Sehnsucht und Träume, also die Grundlagen menschlicher Existenz.

Nachdem "Liebe" im letzten Jahr im Wettbewerb von Venedig Premiere feierte und "Sehnsucht" im Panorama der Berlinale 2024 lief, wurde "Träume" als krönender Abschluss auf der letzten Berlinale mit dem goldenen Bären für den besten Film ausgezeichnet. Jetzt kommen die drei Filme nacheinander in unsere Kinos, den Anfang macht am kommenden Donnerstag "Liebe".

Liebe und Sex aus verschiedenen Perspektiven

Eigentlich hatte Dag Johan Haugerud vor, einen 60 Minuten-Kurzfilm fürs Kino zu drehen, hatte aber große Schwierigkeiten, das zu finanzieren. Auf keinen Fall wollte er einen konventionellen 90 Minuten-Film drehen und beschloss darum, ins andere Extrem zu gehen, den Themenkomplex Liebe und Sex aus verschiedenen Perspektiven in einer kleinen Filmserie zu umkreisen. Dabei stellte sich überraschenderweise heraus, dass drei abendfüllende Filme viel leichter zu finanzieren sind als ein Kurzfilm. Anders als bei einer Miniserie sind die drei Filme voneinander unabhängig, mit unterschiedlichen Hauptfiguren, – lediglich eine davon taucht in allen drei Filmen auf – und alle drei kreisen um dieselben Themen, und gar nicht so getrennt voneinander wie es die Filmtitel suggerieren.

Oslo Stories – Liebe; © Alamode Film/Lukasz Bak
Bild: Alamode Film/Lukasz Bak

Ein entspannter Gesprächsreigen

Alle drei Filme sind eine Aneinanderreihung von Gesprächen zwischen wechselnden Freunden, Familienmitgliedern oder Kollegen. Sie entfalten sich in langen, ruhigen, ungeschnittenen Einstellungen, ganz ohne Schuss-Gegenschuss-Hektik, fast so als würde man diesem Gesprächsreigen in Echtzeit beiwohnen. In "Liebe" beginnt das damit, dass eine junge Frau, Heidi, ein Projekt der Stadtregierung vorstellt, in dem anlässlich der Hundertjahrfeier der Stadt Oslo das Thema Liebe gesamtgesellschaftlich divers dargestellt werden soll.

Danach gibt Heidi den Staffelstab an ihre Single-Freundin, die Krankenschwester Marianne weiter, die mit der Fähre zu einer Party auf eine kleine, vor Oslo gelegene Insel fährt, nicht zuletzt auch, weil Heidi sie mit dem geschiedenen, alleinerziehenden Vater Ole Harald zusammenbringen will. Auf der Rückfahrt trifft sie auf der Fähre ihren Kollegen, den, wie sie wohl da erfährt, homosexuellen Krankenpfleger Tor, der ihr ganz offen erzählt, wie er in schlaflosen Nächten auf der Fähre über Dating Apps Begegnungen mit Männern sucht: "Mir geht's dabei vor allem um den Nervenkitzel, wenn sich die Blicke treffen und man weiß, dass beide on sind."

Oslo Stories – Liebe; © Alamode Film/Lukasz Bak
Bild: Alamode Film/Lukasz Bak

Ein Hauch von Nouvelle Vague

In langen, ruhigen Einstellungen entfalten sich zwanglose Gespräche auch über Intimitäten, ein bisschen erinnert das an französische Nouvelle Vague-Filme, in denen Regisseure wie Eric Rohmer oder Jacques Doillon dieses endlos plänkelnde Sprechen zelebrieren. Beim nächsten Treffen flirten Ole Harald und Marianne, aber mehr als ein Kuss passiert nicht.

Doch von der Begegnung mit ihrem Arbeitskollegen inspiriert hat Marianne bei der Rückfahrt mit der Fähre eine hitzige Affäre mit einem Fremden, wofür die sie sich bei ihrer Freundin Heidi aus der ersten Szene rechtfertigen muss: "Das wühlt mich echt auf", sagt sie: "Dass du direkt vom Knutschen mit Ole Harald zu einem willkürlichen Fremden auf der Fähre wechselst, mit dem du dann im Hafenbecken wilden Sex hast." "Es war aber völlig unproblematisch", entgegnet sie, "das hat mich sehr glücklich gemacht. Ich hab mich total frei gefühlt, auf gewisse Weise. Die zwanglose Nähe zu einem Fremden kann sich wirklich gut anfühlen…"

Redend die eigenen Gefühle und Wünsche erforschen

Eher irreführend ist der deutsche Verleihtitel "Liebe" für den Film, den Dag Johan Haugerud im Original mit "Sex" überschrieben hat, denn auf feste Beziehungen legt es hier niemand an. Stattdessen geht es darum, Neues ausprobieren, Freiheitsräume auszuloten, sich redend über die eigenen Gefühle, Wünsche und Grenzen klar zu werden und dabei Fragen von Identität, Geschlecht, Sexualität zu umkreisen. Ganz entscheidend: Niemand will hier irgendjemandem die eigene Meinung aufzwingen, niemand wird laut, nicht mal im Ehestreit über Untreue in "Sehnsucht", meinem persönlichen Favoriten in der Trilogie.

Oslo Stories – Liebe; © Alamode Film/Lukasz Bak
Bild: Alamode Film/Lukasz Bak

Die Stadt Oslo als Hauptdarsteller

Die Stadt ist der Rahmen der Erzählung, der Raum, in den die Begegnungen und Gespräche eingebettet sind, durch den die Kamera gleitet, bevor sie sich in die nächste Begegnung einklinkt. Jeder der drei Filme spielt in einem anderen Stadtteil von Oslo, wodurch er auch seinen ganz eigenen Look bekommt.

"Liebe" spielt im historischen Oslo ums Rathaus herum und den Fjorden. "Sehnsucht" ist in die neu errichteten Stadtviertel eingebettet, die sich um den Stadtkern gruppieren. Und "Träume" ist in dem wohlhabenderen Ecken der Stadt angesiedelt. Der Regisseur, der selbst gar nicht aus Oslo stammt - ging es auch darum, wollte den Wandel der Stadt dokumentieren, jedoch nicht auf touristische oder pittoreske Weise, sondern eher beiläufig, als alltäglicher, sich unablässig wandelnder Lebensraum.

Anke Sterneborg, radio3

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