"Toxic" © Grandfilm/Akis Bado
Grandfilm/Akis Bado
Bild: Grandfilm/Akis Bado Download (mp3, 12 MB)

Drama - "Toxic"

Bewertung:

Im Fernsehen läuft gerade eine besonders unter jungen Frauen beliebte Show: "Germany’s Next Topmodel". In der Reality-TV-Sendung präsentiert Heidi Klum eine allzu glamouröse Model-Welt, in der Probleme wie Essstörungen weitestgehend ausgeblendet werden. Als Kontrastprogramm dazu startet heute ein litauischer Film, der genau diese Probleme behandelt. "Toxic" heißt der Film, der letztes Jahr in Locarno den Goldenen Leoparden gewonnen hat.

Mit Britney Spears' Megahit "Toxic" aus den frühen 2000er Jahren hat der gleichnamige Debütfilm der Litauerin Saulė Bliuvaitė wenig zu tun. Vielmehr lässt sich das Wort "toxic" am besten mit "ungesund" oder "toxisch" übersetzen. Und toxisch ist in diesem Film so einiges: Saulė Bliuvaitė erzählt darin von zwei jungen Mädchen, Marija und Kristina, etwa 13 Jahre alt, die irgendwo in der tiefsten litauischen Provinz in den Sommerferien festhängen und der ländlichen Tristesse über eine Modelschule entfliehen wollen. Um bei einem begehrten Casting dabei sein zu dürfen, müssen die Mädchen aber noch hart an ihren Körpern arbeiten, das heißt: abnehmen.

Toxisch ist vor allem das Körperbild der jungen Mädchen, das sie einerseits von der Gesellschaft und durch die Popkultur vermittelt bekommen, aber andererseits auch ganz direkt von der Modelagentin, die jeden Tag die Taillenmaße der Mädchen mit dem Maßband nimmt.

"Toxic" © Grandfilm/Akis Bado
Bild: Grandfilm/Akis Bado

Vom Aufwachsen als junges Mädchen in der litauischen Provinz

Das Körperbild ist allerdings nicht das einzige Toxische in diesem Film. Auch die Beziehungen der Jugendlichen untereinander sowie die zu ihren Eltern sind nicht gerade die stabilsten. "Toxic" erzählt vom Aufwachsen, spezifisch vom Aufwachsen als junges Mädchen in der litauischen Provinz.

Die 13-jährige Marija muss den Sommer bei ihrer Oma in einem Kaff verbringen, wo sie niemanden kennt, und das Ankommen wird ihr nicht unbedingt leicht gemacht: Marija hat einen angeborenen Gehfehler, wegen dem sie ein Bein beim Laufen etwas nachzieht. Und wie Kinder und Jugendliche nun mal sind, wird sie dafür ausgelacht und als "Hinkebein" gemobbt.

Von weiblicher Freundschaft

Irgendwann freundet Marija sich aber mit Kristina an, die ebenfalls zur Modelschule geht. Die beiden Mädchen knüpfen ein zartes Freundschaftsband, das bald sogar vielleicht ein bisschen darüber hinausgeht. Und dann kommt noch die toxische Männerebene dazu: Marija und Kristina hängen mit deutlich älteren Jungs rum, die die Mädchen mit Alkohol abfüllen, um an sie ranzukommen. Und um das Geld für ein begehrtes Fotoshooting zusammenzukriegen, lässt sich die 13-jährige Kristina sogar auf Sexarbeit ein.

"Toxic" © Grandfilm/Akis Bado
Bild: Grandfilm/Akis Bado

Die 30-jährige Regisseurin Saulė Bliuvaitė zeigt in ihrem Debütfilm explizit die Methoden, mit denen junge Frauen sich selbst schädigen, nur um in ein idealisiertes Körperbild zu passen: Ständig wird sich der Finger in den Hals gesteckt, das Essen wird heimlich aus dem Fenster gekippt, oder die Models essen Watte und rauchen, um das Hungergefühl zu unterdrücken.

Von ähnlichen Erfahrungen inspiriert

Saulė Bliuvaitė hat nicht nur Regie geführt, sondern auch das Drehbuch geschrieben, und dabei hat sie sich von ähnlichen Erfahrungen inspirieren lassen, die sie als Jugendliche gemacht hat. Bliuvaitė ist in Kaunas aufgewachsen, der zweitgrößten Stadt in Litauen. Dort und in der Hauptstadt Vilnius wurde "Toxic" gedreht.

Die trostlose, graue Kleinstadt, in der der Film spielt, ist also reine Kulisse. Und die ist schon arg trist und grau: Bliuvaitė zeichnet ein allzu düsteres, perspektivloses Bild einer litauischen Jugend, ja, vielleicht überzeichnet sie es auch ein bisschen: Die Jugendlichen lungern auf staubigen Marktplätzen oder in heruntergekommenen Wohnungen herum und betrinken sich vor Kraftwerk-Kulissen.

"Toxic" © Grandfilm/Akis Bado
Bild: Grandfilm/Akis Bado

Eine etwas andere Coming-of-Age-Geschichte

"Toxic" ist an manchen Stellen ein so harter Film, dass man am liebsten weggucken würde. Saulė Bliuvaitė prangert in ihrem eindringlichen Spielfilmdebüt die unerfüllbaren Erwartungen an, die auf jungen Frauen lasten. Auch wenn die Regisseurin in ihrem Spielfilmdebüt vielleicht ein bisschen zu sehr auf osteuropäischen Miserabilismus setzt, erzählt "Toxic" sehr schön eine etwas andere Coming-of-Age-Geschichte mit ganz wunderbaren Laiendarstellerinnen. Und schließlich bekommt man auch nicht alle Tage einen Film aus Litauen im Kino zu sehen.

Paula Schöber, radio3

weitere rezensionen

Oslo Stories: Sehnsucht © Alamode Film
Alamode Film

Letzter Teil der "Oslo"-Trilogie von Dag Johan Haugerud - "Oslo Stories: Sehnsucht"

Vor ein paar Wochen haben wir auf radio3 bereits "Oslo Stories: Liebe" besprochen, den ersten Teil der "Oslo-Stories"-Trilogie, in der der Norweger Dag Johan Haugerud die jeweils titelgebenden Themen Liebe, Sehnsucht und Träume umkreist. Mit dieser Trilogie wurde der vorher nur in Norwegen bekannte Regisseur auch international wahrgenommen, alle drei Filme liefen auf Festivals - in Venedig und in Berlin, wo "Träume" im Februar auch mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Nach "Liebe" und "Träume" kommt jetzt auch der letzte Teil "Sehnsucht" in unsere Kinos.

Bewertung:
Monsieur Aznavour © Weltkino Filmverleih
Weltkino Filmverleih

Biopic - "Monsieur Aznavour"

Er war eine Ikone des französischen Chansons: Charles Aznavour. Mehr als 1.000 Lieder hat er geschrieben, bis kurz vor seinem Tod stand er noch auf der Bühne. Am 22. Mai dieses Jahres hätte er seinen 101. Geburtstag gefeiert. Nun kommt ein Film in die Kinos, der an diesen Mann erinnert: "Monsieur Aznavour"– ein Titel, der eine gewisse Distanz formuliert, die für die beiden Filmemacher sicher nicht immer einfach zu wahren war.

Bewertung:
Der Meister und Margarita © capelight pictures
capelight pictures

Drama - "Der Meister und Magarita"

Wer ist teuflischer? Der Totalitarismus oder der Teufel selbst? In Mikhail Lockshins Verfilmung von Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita" kommt es zum Showdown zwischen dem Leibhaftigen und der stalinistischen Nomenklatura. Obwohl sich der Film eng an die Romanvorlage aus dem Jahr 1940 hält, sind Bezüge zum heutigen Russland unübersehbar.

Bewertung: