Tragikomödie - "Andrea lässt sich scheiden"
Als Josef Hader vor sieben Jahren mit "Wilde Maus" sein Regiedebüt vorlegte, schwärmte die Süddeutsche Zeitung unter anderem über den "sicheren Sinn des Kabarettisten für groteske, böse Pointen". Mit denen kann man nun auch in seinem zweiten eigenen Film mit dem schlichten Titel "Andrea lässt sich scheiden" rechnen. Auch hier hat er wieder eine der zentralen Rollen übernommen - unter anderem neben Birgit Minichmayr und Thomas Schubert. Premiere feierte der Film auf der Berlinale, heute kommt er in unsere Kinos.
Scheidung ist natürlich nur eine recht euphemistische Beschreibung für den tödlichen Ausgang einer Ehe. So wie in allen Filmen, an denen Josef Hader als Autor und Darsteller beteiligt ist, mischen sich auch hier kriminalistische und komödiantische Züge. Man denke nur an Wolfgang Murnbergers Verfilmungen der Kriminalromane von Wolf Haas, in denen Hader einen Kommissar spielt, der mehr oder weniger zufällige Verbrechen aufklärt. Und so wie dort geht es auch hier weniger um Spannung oder gar Action, sondern vor allem um die Lebensumstände in der österreichischen Provinz.
Die Lebensumstände in der mittelösterreichischen Provinz
Davon vermittelt gleich die erste Szene des neuen Films einen guten Eindruck: Eine schnurgerade Landstraße, die von ein paar armseligen Bäumchen gesäumt ist, die über ein kleines - wie sich später herausstellen wird - tückisches Hügelchen führt. Ringsherum fahlgrüne Wiesen und ein milchig-blasser Himmel. Die Schönheit dieser mittelösterreichischen Gegend kommt hier nicht zur Geltung - das ist vor allem ereignislose Ödnis.
Am Rand im Feld stehen eine Polizistin und ein Polizist in Erwartung eines Autos, dessen Geschwindigkeit sie messen können. Herrlich bräsig gespielt werden Andrea und Georg von Birgit Minichmayr und Thomas Schubert. Georg sinniert darüber, was man denn am Geburtstag eigentlich feiere, und Andrea antwortet knapp und mit schwerem österreichischem Zungenschlag: "Na, dasd ned g’storb‘n bist in dem Jahr."
Die Frauen ziehen weg und die Männer werden immer seltsamer
Völlig klar, hier passiert nicht viel, und geschieht dann doch mal etwas, wo die Polizei eingreifen muss, bedeutet es, dass die Übeltäter immer Nachbarn und Bekannte, wenn nicht gar Freunde sind, die alle der Meinung sind, bei ihnen müsse ein Auge zugedrückt werden. Darum wird Andrea abends in der Kneipe von den angetrunkenen Männern des Dorfes auch mal ziemlich schwach angeredet, woraufhin sie dem Übergriffigen nonchalant ihr Glas Bier in den Schritt schüttet.
Die Lethargie, der Frust, die Ödnis: Das könnte so auch in den strukturschwachen Gegenden in Deutschland passieren - überall, wo die Menschen nichts hält und sie trotzdem bleiben. "Eine Scheißgegend ist das", stellt Georg im Streifenwagen fest. "Die Frauen ziehen weg und die Männer werden auch immer seltsamer."
Tatsächlich hat Andrea sich gerade von ihrem Mann scheiden lassen, ist kurzzeitig zu ihrem Vater zurückgezogen und wird demnächst in der nächstgrößeren Stadt Sankt Pölten eine Stelle als Kriminalkommissarin antreten. Doch dann überfährt Andrea nachts nach der Geburtstagsfeier versehentlich ihren sturzbetrunken nach Hause laufenden Ex-Mann und begeht Fahrerflucht ...
Tragödie und Komödie zu gleichen Teilen
Filme über Fahrerflucht mit Todesfolge gibt es viele, in der Regel sind das große Dramen um Schuld und Trauer, um Sühne und Rache - so wie "Wolfsburg" von Christian Petzold, "Gnade" von Matthias Glasner (übrigens auch mit Birgit Minichmayr) oder "Ein einziger Augenblick" von Terry George. Josef Hader dagegen konterkariert die Tragödie mit einer schwarzen Komödie: Während Andrea, die man da schon als sehr moralisch integer erlebt hat, mit ihrem Schock und ihrer Schuld ringt, wird sie als Polizistin zum Unfallort gerufen und staunt nicht schlecht, als ihr dort ein anderer Täter präsentiert wird: Franz Leitner (Josef Hader), ein einsam lebender Dorflehrer, seit fünf Jahren trockener Alkoholiker, ist über ihren bereits toten Exmann gefahren und bekennt sich bereitwillig schuldig. Das wiederum bringt Andrea mit ihrem Rechtsempfinden in schwere Gewissensnot: Während sie ihre polizeiliche Expertise nutzt, um ihre eigene Beteiligung zu vertuschen, versucht sie gleichzeitig, dem Lehrer zu helfen. Sie drängt ihn, sich einen Anwalt zu nehmen, doch der will büßen, und wenn Andrea so nett zu ihm sei mit ihrer unendlichen Großherzigkeit, ginge es ihm nur noch schlechter …
Zwischen verspielter Leichtigkeit und melancholischer Schwere
Schon in der Wolf Haas'-Verfilmung "Der Knochenmann" standen Birgit Minichmayr und Josef Hader gemeinsam vor der Kamera. Auf der Chemie, die sie damals entwickelt haben, kann der Film jetzt aufbauen. Die beiden sind das Herzstück des Films, um das sich viele kleine Charaktervignetten gruppieren, die gemeinsam ein Panoptikum von Provinzexistenzen bilden.
Auf einem sehr schmalen Grat zwischen Komik und Tragik, zwischen verspielter Leichtigkeit und schwerer Melancholie schwingen in ihren scheinbar simplen, oberflächlichen Plänkeleien ganze Lebensgeschichten unterschwellig mit - in der großen Kunst, wenig zu machen und zu sagen, aber ganz viel zu erzählen.
Anke Sterneborg, rbbKultur