Schaubühne am Lehniner Platz - "Prinz Friedrich von Homburg"
Durch ein Traumerlebnis verwirrt, verpasst Prinz von Homburg, Reitergeneral des Kurfürsten von Brandenburg, vor der Schlacht von Fehrbellin (1675) die Befehlsausgabe und greift zu früh ins Gefecht ein. Obwohl er die Schlacht gewinnt, verurteilt der Kurfürst ihn nach dem Kriegsrecht zum Tode. Homburg fleht um sein Leben. Heinrich von Kleists Drama hat sein Konfliktpotential in den Gegensätzen individuelle Freiheit oder Staatsräson, Gefühl oder Gehorsam. Jette Steckel inszeniert das Schauspiel, das erst zehn Jahre nach Kleists Tod uraufgeführt wurde, jetzt an der Berliner Schaubühne.
Für Jette Steckel ist Homburg ein von Renato Schuch furios gespielter Clown und Kobold, der über seine eigenen Witze lacht, ein verwirrter Träumer, Luftikus und Tausendsassa, der sich die Welt schön malt, sich nicht anbiedern, nicht der Meute folgen und nicht der Macht beugen mag.
Vom Jammerlappen zum Märtyrer
Er ist anders, schon im Vorspann, wenn die Schauspieler in Alltagskleidung auf die Bühne kommen und sich in ihre Kostüme zwängen, ist das erkennbar. Während alle anderen sich in eine Soldateska verwandeln und schwarz-weiße Tarnuniformen anlegen und sich in eine nicht mehr unterscheidbar Tötungsmaschine verwandeln, schreit bei Homburgs Kostümierung alles nach Individualität, Ungehorsam und Widerspruch, nach Schmerz, Leid: Seine Uniform ist blutrot, er ist ein Mensch mit Empathie, er hat Lust am Leben - und zum Schluss auch Lust am Sterben. Er möchte gern Teil der Masse sein, Befehlen gehorchen und das Töten als normal empfinden, doch wenn er einen Feind Wunden beigebracht hat, überkommt ihn Mitleid und er legt sich wie ein Liebender neben den Sterbenden und bittet um Verzeihung.
Er durchlebt das Schlachtengetümmel wie im Film und reagiert auf das Todesurteil des Kriegsgerichts erst wie ein Jammerlappen und stilisiert sich dann aus einer Laune heraus zum Märtyrer, der lieber sterben möchte, als gegen Recht und Gesetz zu verstoßen. Lieber gibt er sich selbst die Kugel als von anderen instrumentalisiert und zum Helden gemacht zu werden.
Jette Steckel inszeniert einen Albtraum
Jette Steckel mischt den alten Text nicht mit zeitgeistigen Einsprengseln auf, es gibt kein Diskursmaterial, keine Fremdzitate, keine politischen Verwiese und keine philosophischen Anmerkungen, die klüger und aktueller sein wollen, als Kleist es war. Aber sie kürzt den Text beherzt um mindestens ein Drittel ein, verdammt viele Figuren in den Theaterorkus, wirbelt die Geschlechter durcheinander. Kottwitz wird zur Regimentsobristin (Jule Böwe), die Geliebte von Homburg, Prinzessin Natalie (Alina Vimbal Strähler) zur Chefin eines Dragoner-Regiments.
Der Krieg nivelliert alles und jeden, kennt keine Individuen und keine Menschlichkeit, alle anderen sind Feinde, die man töten darf. Wer aus der Reihe tanzt und eigene Entscheidungen fällt, wird aussortiert. Bei Kleist war das alles nur ein Traum, aus dem Homburg Lorbeer bekränzt erwacht, bei bei Jette Steckel wird es zum Alptraum, der tödlich endet und keinen Sieger kennt.
Überlebenskampf zu Musik der Doors und Bowie
Die Bühne spiegelt die sinnlosen und mörderischen Schützengrabenkriege, wie wir sie seit dem Ersten Weltkrieg kennen und jetzt wieder in der Ukraine erleben müssen. Auf einer steilen Rampe aus schwarzen Sandsäcken verschanzen sich die Soldaten und Soldatinnen, ständig hört man das Rattern der Maschinengewehre, Granaten detonieren, Bomben explodieren, Nebelschwaden tauchen allein fades Licht. Wenn Homburg und Natalie sich in ihren von Schlamm und Blut beschmutzen Uniformen umarmen und küssen, gleicht das einem Überlebenskampf.
Wenn zur Schlacht geblasen wird, ertönt "Riders on the Storm" von den Doors, und wenn das Gemetzel seinen Lauf nimmt, erklingt eine schräge Version des David Bowie-Disco-Klassikers "Let´s Dance". Und wenn über Befehl und Gehorsam, Recht und Gesetz gestritten wird, werden gleißende Scheinwerfer aufs Publikum und die Worte der Diskutanten direkt ans Publikum gerichtet: Denn wir sind gemeint, wir sollen mitentscheiden über Krieg und Frieden und ob Befehlsverweigerung geduldet werden kann.
Ein beklemmender Abend
Wir leben in einer Zeit archaischer Kriege. Aber die Inszenierung hat Hoffnung im Gepäck, ob und wie wir diesen Zivilisationsbruch beenden können. Sie zeigt, wie leicht Menschen ins Räderwerk der Anpassung und Gleichförmigkeit geraten, ideologisch vereinnahmt und zu Tötungsmaschinen mutieren, jede Individualität und jedes Gefühl von Menschlichkeit auf dem Schlachtfeld geopfert wird.
Es ist ein beklemmender Abend, bedröppelt schleicht man aus dem Theater und weiß doch ganz genau: Wir müssen "Nein" sagen, wenn wieder gerufen wird: "In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!" Wir dürfen uns nicht, wie Prinz Homburg in Jette Steckels Finale, selbst das Gehirn wegschießen und hoffen, dass alles nur ein Alptraum ist, aus dem wir bald erwachen. Seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt: Vielleicht ist das die wichtigste Botschaft dieses niederschmetternden Abends.
Frank Dietschreit, rbbKultur