Album der Woche | 25.03. - 31.03.2024 - Akademie für Alte Musik Berlin: Carl Philipp Emanuel Bach - "Symphonies - From Berlin to Hamburg"
Seit ihrer Gründung hat die Akademie für Alte Musik Berlin immer wieder Musik aus dem Umfeld des preußischen Königs Friedrich II. aufgeführt. Ein besonderer Akzent lag dabei auf den Werken von Carl Philipp Emanuel Bach. Nun hat das Orchester erstmals ein Album nur mit Sinfonien des zweiten Sohnes von Johann Sebastian Bach herausgebracht. Es präsentiert die außergewöhnlichen Werke auf gewohnt zupackende Weise und kostet jede Dissonanz in den Sinfonien voll aus.
Insgesamt hat Carl Philipp Emanuel Bach 20 Sinfonien hinterlassen. Die Akademie für Alte Musik hatte in früheren Jahren bereits 13 davon aufgenommen – aber immer in "homöopathischen" Dosen zwischen anderen Werken. Das lag am Charakter dieser Kompositionen, sagt Georg Kallweit, einer der beiden Konzertmeister bei der neuen Aufnahme. Jedes Mal staune man wieder, wenn einem "ein Satz um die Ohren fliegt mit schroffen Akkorden und vielen Sechzehnteln."
Zufall
Die Sinfonien Carl Philipp Emanuels seien daher nicht für jeden geeignet, findet Kallweit. Dass das Berliner Barockorchester nun dennoch ein Album nur mit diesen anspruchsvollen Kompositionen aufgenommen hat, war Zufall. Denn die sieben Sinfonien, welche die "Akamus" noch nicht auf Tonträger gebannt hatte, passen genau auf eine CD. Da war die Verlockung für Kallweit zu groß, sich dieses spezielle Projekt zu gönnen.
Wundertüte
Und jeder, der es in der Musik des 18. Jahrhunderts nicht nur glatt und gefällig mag, kommt dabei voll auf seine Kosten. Allerdings empfiehlt Georg Kallweit, sich zunächst nicht mehr als drei Sinfonien am Stück anzuhören:
"Wenn man sich aber darauf einlässt, wird man feststellen, dass Carl Philipp Emanuel Bach wie aus einem Kaleidoskop, das er dreht, oder wie aus einer Wundertüte immer wieder neue Effekte herauszaubert. Ich glaube nicht, dass man sich dabei langweilen wird.“
Befreiungsschlag
Werke wie die Sinfonien des Bach-Sohnes waren, so Kallweit, ein Befreiungsschlag im Bemühen der Komponisten des nachbarocken Zeitalters, sich von den Fesseln der höfischen Musikkultur zu befreien. Während Carl Philipp Emanuels Werke bei seinem Dienstherrn Friedrich II. kaum gefragt waren, konnte er sich in den aufkommenden bürgerlichen Salons Berlins verwirklichen. Das Publikum dort hörte konzentriert und neugierig zu, anstatt die Musik häufig nur als Nebenprodukt beim Essen wahrzunehmen.
Ausreizen
Carl Philipp Emanuel Bach hat in seinen Kompositionen voller Sturm und Drang die neuen Freiheiten ausgereizt. Die Sätze beginnen oft mit einer Dissonanz oder enden in Halbschlüssen, die Stimmung innerhalb der Sätze wechselt abrupt oder die Musik stoppt plötzlich mit einer Generalpause ab. Es sei Zeitgeist gewesen, sagt Georg Kallweit, die aus der überkommenen Musik geschürten Erwartungen vehement zu durchkreuzen:
"Er wusste ganz genau, wo man die Brechstange ansetzen muss.“
Kotzbrocken
Da wundert es dann kaum, dass dem langjährigen Konzertmeister der Akademie für Alte Musik auf die Schnelle kein Lieblingssatz unter den eingespielten Sinfonien einfällt. Viel eher kann er einzelne Sätze nennen, die für ihn "beinahe Kotzbrocken" seien – zumal der Cembalist Carl Philipp Emanuel oft aus dem Klangidiom seines Instruments komponiert habe. Bei den vielen Trillern und Nachschlägen brechen sich Streicher und Bläser hingegen "manchmal halb die Finger. Das ist nicht so richtig nett."
Provokante Idylle
Konträr zu den wilden Ecksätzen verbreitet der Komponist in den langsamen Mittelsätzen der Sinfonien "manchmal fast provokant eine Idylle, die süßlich und langweilig ist."
Aus den disparaten Einzelsätzen hat der exzellente Tonmeister der Aufnahme im Pankower Tonstudio b-sharp trotz komplizierter Raumakustik ein Gesamtprodukt gezaubert, das ausgewogen und wie aus einem Guss klingt.
Qualitätsprodukt
Die Akademie für Alte Musik konnte bei der Aufnahme auf ihre jahrzehntelange Erfahrung mit diesem Repertoire zurückgreifen. Diese spielt sie auf dem neuen Album souverän aus und vermittelt die Werke in ihrer gewohnt zupackenden, energiegeladenen Art – wobei sie dabei nicht ganz so schroff agiert wie bei Liveauftritten oder manchen frühen Einspielungen.
Neuzugang
Die Aufnahme markiert zudem die Premiere der japanischen Geigerin Mayumi Hirasaki als Konzertmeisterin des Orchesters, das damit den Generationenwechsel unter seinen Mitgliedern weiterführt. Sie und Georg Kallweit wechseln sich in dieser Funktion auf dem Album ab. Hirasakis Herangehensweise sei seiner sehr ähnlich, sagt Kallweit. Was daran erkennbar ist, dass er sich beim Durchhören des Albums teilweise nicht sicher war, wer in der jeweiligen Sinfonie die Federführung innehatte.
Neue Impulse
Doch die in Köln lebende Violinistin hat auch neue Ansätze ins Ensemble getragen. Geigentechnisch an einzelnen Stellen, aber auch generell, meint Georg Kallweit: "Ihre Art zu proben und die Schwerpunkte, was einem wichtig ist und was nicht, sind doch anders, und das ist ein Gewinn. Das ist auch ein Gewinn für die Kollegen.“
Rainer Baumgärtner, rbbKultur