Igor Levit: Lieder ohne Worte © Sony, Montage: rbbKultur
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Album der Woche | 29.01. - 04.02.2024 - Igor Levit: Mendelssohn | Alkan: Lieder ohne Worte

Bewertung:

Der Pianist Igor Levit hat nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober spontan ein neues Album eingespielt. Es sei seine Möglichkeit, wie er sagt, auszudrücken, was in den Wochen nach dem Anschlag in ihm vorgegangen sei. Das ganze Team, das es für eine Aufnahme braucht, stellte sich praktisch über Nacht genauso spontan dafür zur Verfügung: Tonmeister, Klavierstimmer, PR-Trupp, Aufnahmestudio, Plattenlabel. Im Zentrum stehen Lieder ohne Worte von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Singende Finger

Die Lieder ohne Worte von Felix Mendelssohn Bartholdy haben keinen Text, brauchen ihn nicht. Sie erzählen mit der Melodie, mit den Harmonien, mit allem, was Pianisten zur Verfügung steht. Und weil sie ohne Worte erzählen, lassen sie uns Zuhörenden große Freiheit zu hören, was wir in ihnen hören wollen.

Melancholie, Härte, Einsamkeit zum Beispiel, wie der Pianist Igor Levit im Op. 102 heraushört. Dieses Lied ohne Worte in e-Moll habe er direkt nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober wieder und wieder gespielt und dann den Entschluss gefasst, er wolle eine Auswahl der Lieder ohne Worte aufnehmen. Auf dem Album hat er dieses Lied an vorletzte Stelle gesetzt.

Ob die Bezeichnung "Lieder ohne Worte" von Fanny Mendelssohn stammen, der Schwester von Felix, ist nicht eindeutig geklärt. Sie hat selbst welche geschrieben und notiert: "mit singenden Fingern". So spielt Igor Levit die Lieder ohne Worte in dieser Aufnahme, mit "singenden Fingern" in ruhigem und unaufhaltsam fließendem Fluss.

Milde Melancholie

Vierzehn von insgesamt achtundvierzig Liedern ohne Worte von Felix Mendelssohn Bartholdy hat Levit aufgenommen, eine persönliche Auswahl, aber er hat sie in chronologischer Reihenfolge nach EntstehungsMlt, fast mit Euphorie im Lied ohne Worte Opus 19 in E-Dur. Aber danach verschattet es sich zunehmend.

Levit hält die Lieder ohne Worte über weite Strecken melancholisch. Es bleibt aber oft eine milde Melancholie. Wie eine ferne Erinnerung daran. Es ist vielmehr, als wolle er kein Strahlen zulassen, kein helles Licht. Er taucht auch die optimistischer gestimmten Lieder ohne Worte in einen satten, dunklen Klang. Als liege ein Schleier darüber. Wie Hochnebel, der die Sonne ahnen lässt, aber nicht aufreißt.

Alkans Präludium

Am Ende des Albums steht ein Präludium des französischen Komponisten und Pianisten Charles-Valentin Alkan, wie Mendelssohn stammt auch er aus einer jüdischen Familie. Aber die Lebensgeschichten der beiden Komponisten hätten bei der Auswahl der Musik keine Rolle gespielt, sagt Igor Levit. Es ist der Charakter des Stücks, der zum Album passt. Es spannt sich auf zwischen hohem und sehr tiefem Register, dazwischen steigert sich ein unruhiger Gesang, der am Ende über einem Abgrund verharren bleibt. Levit nennt es "ein vollkommen verrücktes, überintensives Horrorstück." Alkans Präludium trägt einen Titel, der, wie die Musik, sich wie ein Kommentar hören lässt auf die Zeit, in der immer mehr Krisen und Kriegen einander verschränken. Es ist wie ein Lied ohne Worte und heißt: Chanson de la folle au bord de la mer - Gesang der Verrücken am Meer(esstrand).

Guter Zweck

Die Einnahmen aus dem Album sollen nun zwei Organisationen bekommen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen. (Ofek Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung und Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus)

Carolin Pirich, rbbKultur