Restaurant im ehemaligen "Tacheles" in Berlin-Mitte - "Verōnika" im "Fotografiska" - Museum für Fotografie
Erst hat im September im ehemaligen Tacheles-Gebäude in Berlin-Mitte das "Fotografiska" als Museum für Fotografie plus Bar, Shop und Bakery eröffnet, dann folgte im November das Restaurant "Verōnika" im vierten Stock. Unser Gastrokritiker Thomas Platt hat das Essen getestet und das Ambiente auf sich wirken lassen.
Das Essen fügt sich. Gelingen kann das im neuen Restaurant "Verōnika", weil seine Urheber um den Pierre Gagnaire-Schüler Roel Lintermans keine Risiken eingehen, weder unnötige noch nötige. Also gedeihen die klassische Gemüse-Charlotte mit Palisaden aus Möhren und Schwarzwurzeln, einem Deckel aus Rosenkohlblättchen sowie Quinoa im Innern und eine Zitronen-Garnelen Milanese oder aber die Heilbuttschnitte unter einer Mütze aus Sauerampfer-Beurre blanc auf jenem beharrlich konventionellen Feld, das in ähnlicher Weise auch von Luxushotels und Vorstandskantinen bestellt wird.
Keine kulinarischen Risiken
Auch Milchkalb-Tatar, bei dem Meerrettich und Schnittlauch ohne Wirkung bleiben, oder das Huhn & Pommes frites sind mindestens genauso interessant wie sie ohne besondere Bedeutung bleiben. Bei den Desserts – eine Ausnahme bildet das frische Passionsfruit & Cream in einer chicen weißen Dose, gefertigt aus Baiser – wirkt es so, als wollte die Patisserie der Küche beim Versuch nachfolgen, die Zubereitungstechniken vom aromatischen Gehalt der Speisen abzukoppeln. Zumindest besteht zwischen Volumen und Geschmack auch hier eine deutliche Diskrepanz.
Mustergültiger Service in theatralischer Atmosphäre
Das auffälligstes Charakteristikum des "Verōnika" ist der mustergültige Service. Seinem professionellen, fast einstudiert wirkenden Schwung ist stets eine Prise persönlichen Ausdrucks beigemischt. Sein effektzugekehrter Schwarz-in-Schwarz-Look in asymmetrischem Schnitt bringen die Augen immer wieder dazu, jedem Schritt durch das aus unterschiedlichen Materialien komponierte Ambiente zu folgen. Zusammen mit den Gästen, von denen die meisten sich in Abendgarderobe geworfen haben, ergibt sich beinahe so etwas wie eine geschlossene Veranstaltung, ja sogar eine theatralische Aufführung.
Derweil gelingt es selbst so manch rustikalem Getöse auf dem Teller nicht recht, sich wirkungsvoll ins Geschehen einzuschalten. Die Gäste erwecken den Anschein, diese Früchte elaborierter Banalität zu sich zu nehmen, ohne ihren Geschmack zu missbilligen.
Zentrum des neuen Tacheles-Komplexes
Damit hat der weitgehend fertiggestellte Tacheles-Komplex auf dem gramerfüllten Feld der zeitgenössischen Architektur nun – zumindest vorläufig – einen Anziehungspunkt, wenn nicht ein Zentrum bekommen. Als Teil des wiederbelebten Torhauses an der Oranienburger Straße kann es wenigstens Geschichte für sich in Anspruch nehmen, während draußen auf dem zumeist menschenleeren Areal eine Art Zukunftssentimentalität herrscht; schräg verlaufende Vorsprünge und Neigungen an den Fassaden versuchen dort, von den nüchtern kubischen Baukörpern abzulenken.
Nach dem Erlebnis der typisierten Gerichte im 4. Stock hegt man den Verdacht, auch sie möchten innen weniger bedeutend sein als es ihr äußerer Anblick vermuten lässt.
Thomas Platt, rbbKultur