Kochlöffel auf altem Kochbuch © imago-images.de
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Mit alten Rezepten gegen Lebensmittelverschwendung - Kochen wie im 17. Jahrhundert?

Das Problem der Lebensmittelverschwendung beschäftigt immer mehr auch Restaurants. Mittlerweile sollen KI-gesteuerte Systeme helfen, Food Waste zu reduzieren. Das renommierte Londoner Zwei-Sterne-Restaurant "Dinner by Heston Blumenthal" geht einen anderen Weg: Es bietet Menüs an, die von uralten englischen Rezepten inspiriert sind, meist aus dem 17. Jahrhundert. Der Grund: Damals war die Versorgung mit Lebensmitteln so schwierig, dass selbst in den Küchen der Reichen sehr sparsam damit umgegangen wurde. Aber: taugt die englische Küche von früher für die Sterneküche von heute?

Das klingt vielleicht wie ein schlechter Witz, ist aber ernst gemeint, wie die äußerst ansprechenden Fotos auf der Website des Restaurants beweisen. Bei der gekonnten Präsentation wirkt sogar ein Gericht wie "Ragout vom Schweineohr auf Toast" appetitlich. Es stammt aus einem Rezept aus dem Kochbuch "The Complete Housewife" von 1773.

Ochsenschwanz als weitere Zutat rundet das Gericht merklich ab, zumal dieser, mit Gemüse gegart, auch die Grundlage für die Sauce liefert. Zum Mittagsmenü gehören auch "Smoked Salmon Belly", geräucherter Lachsbauch, aus einem Rezept von 1661, eine "Pie" mit Ochsenherz aus der selben Zeit und "Salt Cod", gesalzener Kabeljau, dieser aus einem englischen Kochbuch von 1769 - "The Experienced English Housekeeper".

Wie sieht es bei den Desserts aus? "Poore Knights" sind Arme Ritter aus Brioche mit Rosenaroma und Earl Grey-Eiscreme – einem Rezept von 1658, wobei Earl Grey-Tee erst ab Mitte des 19. Jahrhundert dokumentiert ist. Ananas-Kardamom-Tarte stammt aus einem Kochbuch von 1728, "The Country Housewife and Lady's Director". Die damals noch sehr seltene und teure Frucht wurde am Spieß geröstet und zur Marmelade verarbeitet, um den Kuchen zu veredeln.

Anatomie des Rinds © dpa / Costa/Leemage

Unedle Teile, gekonnt in Szene gesetzt

Drei Gänge des "Luncheons" - einem altmodischen englischen Begriff für Mittagessen - kosten im "Dinner" im Londoner "Mandarin Oriental Hyde Park Hotel" 59 Pounds pro Person, also etwa 70 Euro: Für ein Zwei-Sterne-Restaurant eher wenig, zumal die Arbeit, die hinter diesen Gerichten steht, nicht weniger aufwendig ist, selbst wenn einige Zutaten günstiger als üblich sind.

Edlere Teile wie Filet oder Steak finden sich nach wie vor im Abendmenü - im "Luncheon" werden die edlen Reste verarbeitet. Ist das denn neu? Das Team um Heston Blumenthal schließt sich letztendlich dem Vorhaben an, das viele Köch:innen in der gehobenen Küche mittlerweile vertreten: Das Fleisch von Tieren "nose to tail" - also vom Kopf bis Schwanz - zu verarbeiten, ohne Verschwendung. Dies tut die Sterneküche ohnehin, denn die Ausgangszutaten sind meist viel zu hochwertig und teuer, um damit verschwenderisch umzugehen. Nur: auf dem Teller landen meist Edelteile wie Filet, Kotelett oder Braten, während Fleisch- oder Fischreste meist nur für Brühen und Reduktionen taugen, um die Gerichte geschmacklich intensiver zu machen.

Auch diese weniger Edelteile explizit im Menü anzubieten, schafft ein anderes Bewusstsein. Außerdem erlaubt es gehobenen Restaurants, die zurzeit in großer Schwierigkeit stecken, zugänglichere Preise anzubieten und eine breitere Kundschaft anzusprechen.

Regionale und saisonale Zutaten, damals wie heute

Was im "Luncheon"-Ansatz auch nicht neu ist, sind Gemüsesorten und Kräuter, die die Gerichte bereichern: Rüben, Pastinaken, Rote Bete, Sauerampfer, Brennessel, Hopfen, Meerrettich und Senf - allerlei regionale und saisonale Zutaten der Küche von früher, die heute im Zeichen der Nachhaltigkeit wieder Bestandteil vieler Gerichte geworden sind, selbst in der Sterneküche, womöglich durch exotische Akzente aus anderen Kontinenten aufgepeppt.

Neu ist der Ansatz im Londoner "Dinner" also nicht ganz, aber immerhin ist er eine Anregung, nicht nur nach trendigen Kochbüchern à la Levanteküche zu suchen, sondern auch mal in alten Rezeptbücher zu schmökern. In Deutschland gab es ab Ende 1700 etliche Kochbücher, von Autorinnen wie u.a. Friederike Luise Löffler, Sophie Wilhelmine Scheibler und der berühmten Henriette Davidis, die bürgerliche Gerichte immer auch unter dem Gesichtspunkt der Sparsamkeit formulierten. In Italien war es Pellegrino Artusi, der sich als erster "Foodblogger" Ende des 19. Jahrhunderts Rezepte von Hausfrauen und Köchen aus allen Regionen senden ließ. Auch dort hat Verschwendung keinen Platz.

Genuss aus der Vergangenheit im Dienst der Zukunft

Vielleicht findet sich dort das eine oder andere Gericht, das mit kleinen Anpassungen auch für den heutigen Geschmack taugt. Schweineohren werden wahrscheinlich nicht auf Anhieb der Renner werden, aber Ochsenschwanz ist mindestens so gut wie der begehrte Ossobuco, dafür viel, viel günstiger und viel zu schade, um als Hundefutter zu enden. Und allerlei Fleisch-, Fisch- und Gemüsereste eignen sich, ausgekocht zu werden, um die Brühe zur Veredelung anderer Gerichte zu verwenden oder erstmal einzufrieren. Bolognese aus gehackten Hühnerlebern und -herzen kochte meine Mutter früher oft. Irgendwann war sie nicht mehr angesagt. Diese und geschmorter Ochsenschwanz könnten die erste Testübung auf dem Weg zu einer günstigeren, nachhaltigeren Küche sein.

Elisabetta Gaddoni, rbbKultur

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