Erzählung - Jon Fosse: "Ein Leuchten"
Lange wurde Jon Fosse als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt. Dann, 2023, bekam der vom mittelalterlichen Mystiker Meister Eckart genauso wie von den Seins-Philosophen Martin Heidegger und Ludwig Wittgenstein beeinflusste norwegische Autor die ersehnte Auszeichnung. Bekannt wurde Fosse durch seine mehr als 30 Theaterstücke, die weltweit aufgeführt werden. Höchste Anerkennung erhielt er für seine auf drei Bücher verteilte "Heptalogie". Der jetzt im Deutschen erschienene finale Band heißt "Ein neuer Name". Als literarischen Bonus gibt es dazu die schmale Erzählung mit dem Titel "Ein Leuchten".
Die auf über 1.100 Seiten angelegte "Heptalogie" gilt als Opus Magnum des norwegischen Autor: Eine religiöse Selbsterkundung, ein spirituelles Mantra über Gott und Glauben, der Versuch, "das Unsagbare herbei zu schreiben", die "Stille" zu beschwören, in der man "Gottes Stimme hören" kann.
Nach "Der andere Name" und "Ich ist ein anderer" jetzt das Finale: "Ein neuer Name": Wieder dreht sich alles um den Maler Asle, der an einem norwegischen Fjord lebt, von melancholischen Schüben gepeinigt wird und so gern die Gnade Gottes erlangen möchte.
Asle - das Alter Ego Fosses
Es geht in allen drei Bänden um die großen Fragen von Werden und Vergehen und um das kleine Leben von Asle, dem Künstler, dessen Frau gestorben ist, der jetzt kaum noch ein Bild zustande bekommt und sich künstlerisch leer und ausgebrannt fühlt. Asle sitzt im Schaukelstuhl und blickt auf sein Leben und seine Karriere, beschwört seine Suche nach Gott, er ist, wie John Fosse, Mitte 60, trägt, wie Fosse, einen grauen Pferdeschwanz, ist, wie Fosse, zum Katholizismus konvertiert und betet, wie Fosse, jeden Tag den Rosenkranz.
Asle ist nicht nur das verfremdete Alter Ego des Autos, er hat auch einen Doppelgänger gleichen Namens, der dem Suff verfallen ist, in der Gosse landet und die dunkle Seite von künstlerischer Kreativität verkörpert. Der von Gott beseelte Maler Asle findet eines Tages den verwahrlosten Kollegen leblos im Schnee und hilft ihm. Die "glücklichsten Stunden als Schriftsteller", sagte Fosse jetzt in seiner Nobelpreis-Rede, habe er erlebt, "als der eine Asle den anderen Asle im Schnee findet und ihm so das Leben rettet."
Überhaupt, sagte Fosse, "habe ich schon immer gewusst, dass Dichtung Leben retten kann, vielleicht hat sie auch mir das Leben gerettet", und Fosse beendete seine Preisrede mit den Worte: "Ich danke Gott."
Endlosschleife des Immergleichen
Die einzelnen Lebensstationen des Malers, die schwierige Kindheit, der mühsame Weg vom Sohn aus einfachen Verhältnissen zum angesehenen Künstler, die nimmermüde Suche nach der Gnade Gottes, die Besuche des maulfaulen Nachbarn, die Erinnerungen an seine verstorbene Ehefrau, die Begegnungen mit dem Doppelgänger, der ewige Kampf mit der leeren Leinwand, die Freundschaft zum Galeristen, der immer wieder neue Bilder von ihm verkaufen möchte: das alles wird im finalen Band noch einmal aus leicht veränderter Perspektive und minimal variiert durchbuchstabiert.
Asle sitzt also wieder im Lieblingsstuhl seiner verstorbenen Ehefrau, blickt über den Fjord, erinnert sich an wichtige Wegmarken und prägende Begegnungen, fährt über vereiste Straßen zu seinem Galeristen in die Stadt und bringt ihm seine letzten Bilder. Eine Endlosschleife des Immergleichen.
Jedes Kapitel der "Heptalogie" beginnt mit den Worten, die dem Maler beim Betrachten seines letzten Bildern einfallen: "Und ich sehe mich dastehen und das Bild mit den Strichen anschauen, einer ist lila, einer braun, sie kreuzen sich in der Mitte." Sie bilden das X-förmige Andreaskreuz (an dem der Legende nach der Apostel Andreas gekreuzigt wurde) und spiegeln die Suche nach künstlerischer Gottesgnade: "Ich sehne mich nur noch nach Stille, alle meine Gedanken sollen weg sein, und alle in meiner Erinnerungen angehäuften Bilder, die mich so plagen, sollen weg sein und ich will leer sein, einfach leer, ich will zu einem stillen Nichts werden, zu einem stillen Dunkel und vielleicht denke ich dabei ja an Gottes Frieden."
Ein Roman, der in keine literarische Schublade passt
Der neue Roman passt, wie die gesamte "Heptalogie", in keine literarische Schublade. Es gilt, alle vorgefertigten Kriterien zu vergessen, mit denen man sonst einem Roman zu Leibe rückt. Nur wer bereit ist, sich dem literarischen Sog und der Variation der immergleichen Gedanken hinzugeben, wird beim Lesen reich beschenkt.
Wie die Vorgängerromane ist auch "Ein neuer Name" eine konservativ-anarchische Rebellion gegen die Hektik der Moderne, eine Meditation über die Kunst als Gottes Gnadengeschenk, ein auf wenige Gedanken reduziertes Sprechen, kurz vor dem endgültigen Verstummen. Jedes Kapitel der "Heptalogie", die ohne jeden Punkt dahin gleitet, endet mit einem "Vater unser" und einer kommalosen Gedanken- und Erzähl-Suada wie: "…dann sage ich immer und immer wieder während ich tief einatme Herr und während ich langsam ausatme Jesus und während ich tief einatme Christus und während ich langsam ausatme Erbarme dich und während ich tief einatme Meiner".
Literatur als Gottesdienst
Parallel zum Roman "Der neue Name" erscheint die Erzählung "Ein Leuchten": Sie vertieft noch einmal den Kerngedanken des Romans: Dass sich alles ständig wiederholt und der Tod nur der Übergang zu einer neuen Existenz ist, in der sich die Allgegenwart Gottes zeigt. Im Roman setzt Asle am Ende mit einem alten Fischerboot über den Fjord zu einer Insel über, erblickt dort "Ein Leuchten" in der Dunkelheit, begegnet dem Tod und weiß endlich: "Ich, das, was in mir ich ist, kann niemals sterben, denn es ist nie geboren."
Genauso ergeht dem namenlosen alten Mann in der Erzählung, der - ohne zu wissen, warum - eines Tages in sein Auto steigt, einfach losfährt, irgendwann nach Stunden in einen Wald einbiegt, sein Auto im Schneematsch festfährt, dann auf der Suche nach Hilfe stundenlang im Schneetreiben umher irrt und endlich im Dunklen "Ein Leuchten" findet: Gemeinsam mit der herbei halluzinierten Vision seiner toten Eltern geht der alte Mann "barfuß hinaus ins Nichts, Atemzug um Atemzug, und plötzlich gibt es keinen einzigen Atemzug mehr, nur noch die glänzende, schimmernde Gestalt, die in einem atmenden Nichts leuchtet, das jetzt wir atmen, von ihrem Leuchten."
So wie vorher der Maler findet nun auch der alte Mann Erkenntnis und Erlösung: Literatur als Gottesdienst, eine irritierende, aber ungemein anregende Herausforderung.
Frank Dietschreit, rbbKultur