Pirkko Saisio: Gegenlicht © Klett-Cotta
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Roman - Pirkko Saisio: "Gegenlicht"

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Eine der spannendsten finnischen Autorinnen der Gegenwart wird gerade auch in Deutschland entdeckt: Pirkko Saisio. Die preisgekrönte Autorin, Schauspielerin und Regisseurin hat vor allem mit ihrer Helsinki-Trilogie über ihr Leben als lesbische Tochter kommunistischer Eltern Aufsehen erregt. Sie wird jetzt nach und nach ins Deutsche übersetzt, in umgekehrter Reihenfolge: Letztes Jahr erschien der dritte Band "Das rote Buch der Abschiede", jetzt der zweite Band "Gegenlicht".

Im Jahr 1968 ist Pirkko 19 Jahre alt, leidet an sich und der Welt und träumt davon, eines Tages ein Schweizer Waisenhaus zu leiten und dabei singend über Bergwiesen zu springen, wie Julie Andrews im Kinohit "The Sound of Music":

"Sie will auch angebetet werden. Ohne es sich einzugestehen, aber durchaus berechtigt geht sie davon aus, bei schutzbedürftigen Waisenkindern auf besonders selige Anbetung zu stoßen.“

Die Realität holt die junge Finnin in ihrem Auslandsjahr in der Schweiz jedoch schnell ein und Pirkko Saisio lässt ihr junges Alter Ego krachend an der eigenen Naivität scheitern. Schon bei der ersten Begegnung mit einer echten Schweizerin dämmert ihr, dass sie sich bei der Wahl ihres Traumlandes verschätzt haben könnte:

"Die Schweizer Frauen dürfen nicht wählen, aber das wollen sie auch gar nicht. In den Kantonen, wo sie wählen dürfen, wohnen nur merkwürdige Frauen, die ausländische Zeitungen lesen. Alle beneiden die Schweiz, die Schweiz beneidet niemanden. (...) Die Schweizer leben in Häusern. Sie wandern nicht mit Rentieren und Zelten umher, so wie bekanntermaßen die Finnen, und Schweizer Schulbücher lügen nicht. (...) Die Schweizer sprechen ihre eigene Sprache, Schweizerdeutsch, keinen russischen Dialekt wie die Finnen. Nein, die Schweizer Lehrbücher lügen nicht."

Humorvoll und gnadenlos ehrlich

Mit sehr viel trockenem Humor und gnadenloser Ehrlichkeit berichtet Pirkko Saisio von ihrer Pubertät und dem schwierigen Weg zur erwachsenen Frau, die im kleingeistigen Finnland der 50er und 60er Jahre aufwächst. Ein pummeliges Mädchen, das sich in seiner konservativen Zeit zu Frauen hingezogen fühlt, und in ihrem kommunistischen Elternhaus zu Gott, und immer glaubt, so wie sie ist, falsch zu sein:

"Ich möchte aufgrund meiner Begabung verfolgt werden. Ich möchte schlecht sein in der Schule. Und das bin ich ja auch. Aber ich möchte, dass meine Begabung in Form einer Bestnote in Finnisch aus meinem Zeugnis herausleuchtet. Wie das Wappen der Region Uusimaa aus der finnischen Krone.

Doch ich bin eine gewöhnliche Schülerin mit Zahnlücke, die von Karobube, meiner Lehrerin, im schriftlichen Finnisch nur ein Gut kriegt. Deren Eltern nicht saufen und sich nicht trennen. Allerdings sind sie aus der Kirche ausgetreten, was ich niemandem zu erzählen wage. Das ist meine Lage, aber Gott fühlt sich anscheinend nicht zuständig, etwas daran zu ändern."

Ikone der Kulturszene Finnlands

Heute ist Pirkko Saissio eine queere Ikone, deren Theaterstücke gefeiert werden, die selbst Schauspielerin ist und Regisseurin und als beste lebende Autorin Finnlands gehandelt wird. Ihr unverkennbarer Stil, der ganz natürlich zwischen szenisch rasanten, witzigen Dialogen und poetisch-philosophischen Exkursen springt, prägt auch ihre Helsinki-Trilogie, die ihr Leben von der Kindheit bis zum Durchbruch als Autorin nachzeichnet.

So wie in allen drei Bänden wechselt sie in "Gegenlicht" zwischen dem Erzähler-Ich der jungen Frau und dem distanzierten Blick der älteren Autorin hin und her:

"Ich verbünde mich mit Großvater gegen den Stand der Dinge im Krankenhaus, gegen den Tod, meine Eltern und meine Pubertät. Und Großvater kommentiert meine Treue in einem kurzen, klaren Moment: 'Aber es muss Dir gut gehen, Mädchen. Gerade jetzt, in deiner Jugend.' Und diese Sätze wird sie so in ihren ersten Roman tragen und ihrer sterbenden Tante in den Mund legen, auch in der Fernsehfassung. Sie ist dem Regisseur ewig dankbar, dass keine sentimentalen Geigen dazu spielen."

Wie Annie Ernaux, aber lustig

Pirkko Saisio kann leicht in einem Atemzug mit Annie Ernaux, Tove Ditlevsen oder Edouard Louis genannt werden, die alle über ihren schwierigen Weg aus armen Verhältnissen zur gefeierten Künstlerin geschrieben haben. Doch im Gegensatz zu den oft wütenden und tieftraurigen Erzählungen der anderen, schwingt durch Saisios Welt immer eine Leichtigkeit und Selbstironie, die das Lesen zu einer reinen Freude machen:

"Mutter will nicht, dass ich Tante Ulla nachahme. Ich soll bloß nicht ihre Meinungen, Gesten oder Tricks übernehmen. Sonst läuft es zwangsläufig darauf hinaus, dass ich unverheiratet bleibe, wozu ich laut Mutter sowieso schon eine Neigung hätte. Und ohne Heirat keine Kinder, und überhaupt jede Menge Unerfreuliches. 'Überleg doch nur. Dann musst Du den Telefonanschluss und das Jahresabo für die Helsingin Sanomat ganz allein bezahlen (...).'“

Irène Bluche, rbbKultur