Deutsche Oper Berlin - "Pique Dame" von Peter Tschaikowski
Dass Tschaikowskys "Pique Dame" seit so langen Jahren nicht mehr an der Deutschen Oper gespielt wurde, liegt an den Merkwürdigkeiten der Opernstadt Berlin (wo nicht vom Haus her disponiert wird, sondern nach Macht und Eitelkeit). Vor neun Jahren indes gab es hier aber mal ein Gastspiel vom Mariinsky-Theater aus St. Petersburg. Da konnte man sehen, dass dieses große Werk von ausgewachsenen dreieinhalb Stunden nur in einer großen Hütte funktioniert. Am Wochenende aber gab es für "Pique Dame" immerhin einen Sieg nach Punkten. Allerdings vor allem dank einer Sängerin ...
Die heute 75-jährige Doris Soffel (eingesprungen für die ursprünglich vorgesehene Hanna Schwarz) hatte als Alte Gräfin schon vor zwei Jahren unter Kirill Petrenko für Furore gesorgt. Die Sängerin hat, nach menschlichem Maß, ihre Gesangskarriere eigentlich hinter sich. Und steckt dennoch kraft Bühnenpräsenz, Abgründigkeit und Flamboyanz - ja man darf füglich sagen: durch die Erotik ihres Auftritts alles in die Tasche, was an Jugend sonst so um sie versammelt ist.
Doris Soffel brilliert
In ihrer Großmutter-Rolle befindet sie sich im Besitz von drei glücksverheißenden Spielkarten – innerhalb dieser Spieleroper. Nun lauert ihr der spielsüchtige Held der Puschkin-Novelle nächtens in ihrem Schlafzimmer auf, um das Geheimnis aus ihr herauszupressen. Doris Soffel empfängt diesen Eindringling, als sei er ein bezahlter und von ihr bestellter Escort. Sie wittert ein Liebesabenteuer – und stirbt doch vor Aufregung am Herzschlag.
Ich persönlich habe das noch nie so gesehen. Meist ist die Figur eine alte Tante, welche die Realität nicht mehr an sich heranlässt und vor Schreck tot umfällt. Plötzlich hatte die Aufführung genau jenen Witz, jene Wachheit und doppelbödigen Esprit, der ihr sonst fehlt.
Formidable Ensemble-Kräfte Thomas Lehman und Karis Tucker
Regisseur Sam Brown folgt dem ursprünglichen Konzept des verstorbenen Graham Vick (die Produktion hatte coronabedingt verschoben werden müssen), ließ die Senior-Diva aber offenbar gewähren. Der dekorative, unplausibel psychologisierende Zuschnitt mit Kinderchor, Stummfilm-Assoziationen und opulenten Verwandlungen kriegt erst so Sinn.
Die Stars der Aufführung waren eigentlich andere: Sondra Radvanovsky ist eine amtierende Primadonna an der Metropolitan Opera. Sie ebenso wie der brasilianische Tenor Martin Muehle nähern sich stilistisch gesehen, vom Verismo her der Sache. Entsprechend laut, wenn nicht brüllig oder kreischig geht es zu. Radvanovsky singt ihre Lisa fast, als wär’s Tosca oder Turandot.
Wären nicht formidable Ensemble-Kräfte wie Thomas Lehman als Jeletzkij und Karis Tucker als Polina, man wäre nicht ganz so zufrieden.
Sebastian Weigl dirigiert umstandslos
Sebastian Weigle im Graben animiert das Orchester der Deutschen Oper zu einer guten Leistung, dirigiert umstandslos, aber auch etwas unspezifisch entromantisierend. Man versteht das Stück, dem ein gewisses Pathos eigen bleibt, so eigentlich nicht mehr recht. Sehr aufwendig und gut: der Chor.
Doris Soffel singt von den verbleibenden fünf Vorstellungen nur drei. Diese Sängerin, erstaunlich zu sagen, ist eigentlich immer besser geworden. Jetzt, wo sie eigentlich "jenseits" ist, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Kai Luehrs-Kaiser, rbbKultur