Kultur als Staatsziel im Grundgesetz -
Kultur ist den politischen Parteien in ihren aktuellen Wahlprogrammen wichtig. Seit den 80er Jahren wird diskutiert, Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. Bis heute ist nichts daraus geworden. Eine der ausdauernsten Streiterinnen für ein Staatsziel Kultur ist die Berliner Bundestagsabgeordnete Monika Grütters, CDU, ehemalige Kultur-Staatsministerin. Auf radio3 spricht sie über ihre Gründe.
radio3: Guten Morgen, Frau Grütters, warum ist es denn aus Ihrer Sicht so wichtig, Kultur als Staatsziel in die Verfassung aufzunehmen?
Monika Grütters: Weil der Kultur immer wieder Druck aus bestimmten Kreisen, vor allen Dingen aus der AfD, ganz explizit droht. Und weil sie auch durch die jüngsten Kürzungsbeschlüsse einmal mehr Anfechtungen ausgesetzt ist. Und wir auch, drittes Argument, in der Corona-Krise gesehen haben, wie schwer es sein kann, ohne Kultur auszukommen. Man muss sie angemessen behandeln, weil wir damals auch gesehen haben, was uns fehlt, wenn sie stillgestellt wird und sei es nur temporär. Und deshalb glaube ich, dass wir das als Antrieb für Veränderung nutzen sollten und einen neuen Gesellschaftsvertrag für die Kultur aushandeln müssen, der den gesamtgesellschaftlichen Wert festhält, der über das partikulare Interesse der ausübenden Künstler hinausgeht.
radio3: Und wenn Sie sagen, wie gerade eben, dass die Kultur von Seiten der AfD bedroht sei, was meinen Sie damit?
Monika Grütters: Ja, die AfD. Sie können sich daran erinnern, dass der Ehrenvorsitzende Gauland die Nazizeit als Vogelschiss in unserer Geschichte bezeichnet, dass Höcke eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur herbeireden möchte und von einem Denkmal der Schande in der Mitte der Hauptstadt spricht, wenn von dem Holocaust-Mahnmal die Rede ist, dass die AfD in Sachsen immer wieder politischen Druck ausübt mit 36 kleinen Anfragen, die die Finanzierung von Kultureinrichtungen und gemeinnützigen Vereinen in Frage stellen - gerade dann, wenn sie sich für Demokratie, Toleranz und eine offene Gesellschaft einsetzen oder Angebote zur politischen Bildung machen, die auch Migranten unterstützt.
Insgesamt glaube ich, müssen wir - Sachsen ist dafür jetzt schon ein deutliches Beispiel - die Resilienz der Kultur auch vor Gruppen am rechten Rand schützen.
radio3: Sie haben uns jetzt eine objektive Begründung geliefert, warum Kultur als Staatsziel in unserer Verfassung wichtig wäre. Gibt es denn bei Ihnen auch eine persönliche Begründung, warum Ihnen das so wichtig ist? Gab es eine Erfahrung, eine Begegnung, die das entscheidend befördert hat?
Monika Grütters: Ich selber habe mein ganzes Leben, Berufsleben und auch das Politische in den, sagen wir es so, Dienst der Kultur gestellt. Ich wollte immer etwas tun, um sie zu befördern, weil ich persönlich nicht nur eine der dankbarsten und grundsätzlichen Kulturnutzerinnen bin, sondern auch einen großen Respekt vor der kulturellen Leistung habe, die einzelne Künstler und Künstlerinnen erbringen, aber die, so glaube ich, auch nötig ist, um unser Gemeinwesen und die Demokratie zu schützen, weil sie das kritische Korrektiv sind, weil sie unsere Demokratie wachhalten und vor Lethargie und Sattheit schützen.
Und deshalb glaube ich, dass es ganz wichtig ist, das Bewusstsein für diesen gesamtgesellschaftlichen Wert der Kultur zu schärfen. Ich glaube, es hätte einen hohen Wert für uns alle, den Satz: "Der Staat schützt und fördert die Kultur" endlich ins Grundgesetz zu bringen, weil das ein echtes Bekenntnis zu den Kräften wäre, die unsere Demokratie lebendig halten. Und ich habe im Kulturausschuss ja auch mit Leuten wie Marc Jongen zusammengesessen, der immer eine neue Kulturpolitik - das ist sein Ziel - nimmt und ganz deutlich dazu steht, dass sie die Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus einerseits beklagen, aber auch eine explizit völkische Kultur wollen.
radio3: Marc Jongen von der AfD, meinen Sie den? Ja, genau, von der AfD, mit dem habe ich zusammen im Kulturschuss gesessen, der ist jetzt im Europaparlament. Und alleine, wenn ich diese nationalistisch-völkische Haltung und dann noch mit einem expliziten Bekenntnis zusammenhöre, dann werde ich nervös und glaube, wir demokratischen Kräfte sollten uns zusammentun und die Kultur jetzt endlich explizit schützen.
radio3: Also klares Plädoyer für ein Staatsziel Kultur in unserer Verfassung. Jetzt haben wir in dieser Woche hier bei radio3 die derzeitige kulturpolitische Sprecherin der CDU, Christiane Schenderlein, gehört und die hat das gesagt zum Staatsziel Kultur.:
(Stimme Christiane Schenderlein): "Wir haben das hier kritischer betrachtet, weil auch aus einem Staatsziel Kultur nicht unbedingt per se eine größere Kulturförderung resultiert. Ich vermute, uns wird dieses Thema auch in der nächsten Wahlperiode begleiten. Aber wir haben es jetzt nicht in unser Wahlprogramm aufgenommen."
radio3: Also da ist erstmal Distanz zum Staatsziel Kultur von der kulturpolitischen Sprecherin der CDU. Aus Ihrer Sicht, Frau Grütters, ist das die vorherrschende Stimmung in Ihrer Partei?
Monika Grütters: Die vorherrschende, weiß ich nicht, weil wir es lange nicht abgefragt haben. Aber es gibt zumindest auch viele Kolleginnen und Kollegen aus der Union, die meine Lesart unterstützen. Ich glaube, wir müssen anerkennen, dass sich die Zeiten noch einmal mehr gegenüber der einige Jahre zurückliegenden Debatte im Deutschen Bundestag geändert haben durch das rabiate Auftreten der AfD, die, ich sage es noch mal, von Entsiffung des Kulturbetriebs redet und die bisherige Förderung politisch korrekter Projekte herunterfahren will.
Und das geht einher mit diesem großen Spardruck, den wir ja nicht nur hier in Berlin, sondern auch auf Bundesebene haben. Und ich mache mir Sorgen um das Image und das Ansehen der Kultur. In letzter Zeit wirkt es so, als müsste sich die Kultur dafür rechtfertigen, dass sie da ist, dass sie gefördert wird. Das tut sie im Übrigen nicht, weil sie nicht selber Geld einwerben könnte, es machen andere auch, sondern weil wir ihre Freiheiten schützen wollen, also ihre Unabhängigkeit von Geldgebern, von Erwartungen, die aus der Gesellschaft oder von wichtigen Gruppen kommen. Nur wenn sie diese große Unabhängigkeit hat, kann sie ja auch ein Stück weit Avantgarde sein und Zumutungen aussprechen, Unangenehmes auch uns als Spiegel vorhalten. Nur dann kann sie ihren eigentlichen gesellschaftlichen Wert entfalten.
Und ich glaube, der Druck ist einfach größer geworden. Deshalb bin ich der Meinung, wir sollten sie schützen. Deshalb das Ziel Staatskultur doch nochmal wieder auf die Agenda. Und was ist sie uns wert? Was Schenderlein da ausspricht, ist ja die etwas enge Erwartung, als würde mit dem Ziel Staatskultur ein Anspruch auf eine bestimmte finanzielle Leistung ausgesprochen. Mir geht es mehr darum, das Bewusstsein für den gesamtgesellschaftlichen Wert, auch den immateriellen, zu schärfen. Und das würde man ja mit einer Staatskultur tun.
Das Gespräch führte Frank Meyer, radio3