Theodor W. Adorno: Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute; © Suhrkamp Verlag
Bild: Suhrkamp Verlag

Empfehlungen der unabhängigen Jury - Sachbücher des Monats Februar 2024

Im Fall von Theodor. W. Adornos "Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute" sollte man das Nachwort von Jan Philipp Reemtsma wohl zuerst lesen. Denn der Vortrag ist zwangsläufig ein historischer Text, 1962 entstanden. Durch dieses Nachwort wird das "heute" in seinen seinerzeitigen Zusammenhang gestellt – und gewinnt an Aktualität.

Was in den späten 50er- und frühen 60er-Jahren Teile der bundesdeutschen Gesellschaft in Sorge versetzt hat, bewegt gerade jetzt große Teile der Bevölkerung: Die Bedrohung der Demokratie durch neonazistische und rechte Kräfte, und damit einhergehend eben auch die Zunahme antisemitischer und judenfeindlicher Haltungen und sogar Delikte.

Man muss nicht jeder These Adornos folgen: Zum Beispiel würde man heute wohl nicht mehr den Antisemitismus als ein "Massenmedium in dem Sinn, dass er anknüpft an unbewusste Triebregungen, Konflikte Neigungen, Tendenzen, die er verstärkt und manipuliert" (S. 22) verstehen. Aber die Konsequenz daraus: "Den Antisemitismus kann nicht bekämpfen, wer zu Aufklärung zweideutig sich verhält" (S. 28), kann man unterstreichen.

Für Adorno liegt der Schlüssel zur Bekämpfung des Antisemitismus in der Erziehung, sprich: In einer Überwindung autoritärer Strukturen in der Gesellschaft und insbesondere in den Familien, jedenfalls in den Familien, in denen "durch Unterdrückung, besonders durch heftige, brutale väterliche Autorität, sich sehr oft das konstituiert, was man psychoanalytisch den ödipalen Charakter heißt: Menschen, die auf der einen Seite beherrscht sind von verdrängter Wut, aber auf der anderen Seite … ihre unterdrückten und aggressiven Instinkte an anderen, und zwar im allgemeinen an Schwächeren, auszulassen" (S. 34). Humanität und Rationalität sind Adornos Maßstäbe – ihnen kann man folgen.

Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland; © Die Andere Bibliothek

Soziale Leidenschaft und großmütiges Denken

Zu den heute eher vergessenen Autoren gehört der Dramatiker und Sozialist Ernst Toller (1893 – 1939). Bis jetzt! Unserer Jury ist sofort aufgefallen, dass "Eine Jugend in Deutschland" eine ganz besondere Schilderung der Jahre zwischen 1893 und 1933 ist. Wir lesen mit wachsender Spannung von einer Zeit des Wucherns von Vorurteilen, von gesellschaftlichem und politischem Versagen, von Gewalt und Ungerechtigkeit.

Wie sich in dieser Zeit, die durch den 1. Weltkrieg und das Heraufkommen des Nationalsozialismus geprägt ist, individuelle und kollektive Erfahrungen auswirken, schildert Toller in seiner ungewöhnlich "griffigen" Sprache: Ungeschminkt schreibt er über seinen Weg vom vorurteilsbelasteten Jungen in Polen zum Kriegsfreiwilligen, vom Entsetzen des Krieges und dem beginnenden Pazifismus, bis hin zu einem Menschen, der "das Lebendige durchdringen" will, "in welcher Gestalt es sich auch immer zeigt".

Emphatisch schreibt er: "Ich will es mit Liebe umpflügen, aber ich will auch das Erstarrte, wenn es sein muss, umstürzen, um des Geistes willen" (S. 78). Er hat all dies getan, sich zu seinen Schwächen bekannt und doch auch "dem Deutschland von Morgen", also uns, ein großes Vorbild von sozialer Leidenschaft und großmütigem Denken gegeben.

Paulin Ismard (Hg.): Welten der Sklaverei; © Verlag Jacoby & Stuart
Bild: Verlag Jacoby & Stuart

Sklaverei als globales Phänomen

Das titelgebende Bild eines schwarzen Sklaven, im Grunde ein ikonisches Bild, darf nicht täuschen: Sklaverei gib und gab es in allen Kulturen und allen Epochen der Menschheit. "Welten der Sklaverei" macht es uns in aller Deutlichkeit und ausführlich bewusst. Dieses Gemeinschaftswerk zeigt die Sklaverei als globales Phänomen, nicht nur als Produkt des Kolonialismus, sondern, wie ich finde, als eine Menschheitsschande.

Es ist ein hartes Stück Arbeit, das über 1000 Seiten umfassende Werk durchzulesen, gerade auch, weil es die Tatsachen so nüchtern beschreibt – aber es lohnt sich.

Andreas Wang, Herausgeber der "Sachbücher des Monats" seit 1992

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Sachbücher des Monats; © radio3/rbb
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