Olaf Kühl: Z; Montage: rbbKultur
Bild: Verlag Rowohlt Berlin

Empfehlungen der unabhängigen Jury - Sachbücher des Monats Juli 2023

Die Verfasstheit unserer Demokratie, die Freiheit des Wortes und eine außergewöhnliche Biografie. Das sind nur drei Themen derjenigen Bücher, die im Juli auf unserer Liste stehen – ausgewählt von 24 namhaften Jurorinnen und Juroren, präsentiert von rbbKultur.

Politisch gesehen ist das "Unbehagen in der Demokratie" eines der zwingendsten Themen unserer Zeit. Viele Autoren beschäftigen sich mit diesem wechselweise von Emotionalität, Rationalität und heimlicher Feindschaft hervorgerufenen Zustand. Mit der Neuauflage von Michael J. Sandels 1996 erstmals erschienenen Werk "Das Unbehagen in der Demokratie" haben wir nun beinahe einen Klassiker der politischen Philosophie auf der rbbKultur-Sachbuchliste.

Natürlich ist Sandels Blick auf Amerika und die amerikanische Geschichte der politischen Verfasstheit gerichtet. Aber wir erkennen doch allgemeine Tendenzen und vor allem die Gefahr, die die "ungezügelten Märkte aus unserer Gesellschaft gemacht haben", so der Untertitel.

Michael J. Sandel: Das Unbehagen in der Demokratie; Montage: rbbKultur
Bild: S. Fischer Verlag

Aufschlussreich ist das ständige Spannungsverhältnis zwischen Republikanern und Liberalen in den USA, d.h. zwischen einer (republikanischen) Denktradition, die unterstellt, "dass Freiheit davon abhängt, an Selbstbestimmung teilzuhaben" (S. 31), die mit der Verantwortung für das Gemeinwesen konnotiert ist, und einer (liberalen), die "Toleranz und Respekt für individuelle Rechte hervorhebt" (S. 29), die sich aber jetzt als "Verlust der Selbstbestimmung und der Erosion der Gemeinschaft" (S. 28) manifestiert.

Dies so, Sandel, führe zu einer Entfremdung zwischen den Eliten und der Mehrheit der Bevölkerung: "Die in der neuen Ökonomie aufblühenden qualifizierten Eliten entdeckten, dass sie mit den Unternehmern, Erneuerern und Fachkräften in aller Welt mehr gemeinsam hatten als mit den Bürgern ihres eigenen Landes" (19).

Sandels Buch bekräftigt den Verdacht, dass die Etablierung des Neo-Liberalismus zu dem Unbehagen in der Demokratie geführt hat, das wir jetzt konstatieren. Alternativen werden gesucht, durch die Bürger ihre Gesellschaft wieder aktiv gestalten können.

Dichter, Naturkundler, Welterforscher

Wer kennt sie nicht, die schaurig-schöne Geschichte von Peter Schlemihl, der seinen Schatten an den Teufel verkaufte, um dafür nie versiegendes Gold zu haben, und, weil er eben keinen Schatten mehr warf, von den Menschen gemieden wurde. Sein Verfasser, Adalbert von Chamisso, hat in seiner Figur viel von sich selbst mitgegeben, zu allererst die Leidenschaft für die Erforschung der Natur. Denn ein Naturforscher wollte von Chamisso von Anfang an werden, die Literatur war, so erfolgreich er sie auch praktizierte, sekundär.

Dem Aspekt der Naturkunde geht der Evolutionsbiologe und Wissenschaftshistoriker Matthias Glaubrecht in seiner umfangreichen Recherche nach. Und er entdeckt Adalbert von Chamisso gänzlich neu, eben als "Dichter, Naturkundler, Welterforscher" und erschließt uns einen wahren Schatz neuer Einsichten über eine damals unbekannte Welt. Man kann nur staunen über diese Biografie, die außer dem Leben Chamissos auch noch den Blick für die Folgen der europäischen Entdeckungsfahrten öffnet.

Jürgen Serke: Die verbrannten Dichter; Montage: rbbKultur
Bild: Wallstein Verlag

Die Freiheit des Wortes

"Ein Buch kehrt zurück, das vor einem halben Jahrhundert entstanden ist, und der deutschen Literatur des 20. Jahrhundert ein neues Gesicht gab: Das Gesicht des Widerstands" – so beginnt Jürgen Serke sein Nachwort in der um viele Abbildungen und Quellen erweiterten Neuausgabe "Die verbrannten Dichter".

Aus Anlass des 90. Jahrestages der Bücherverbrennung von 1933 hat der Wallstein Verlag das zum Klassiker gewordene Buch in großer Aufmachung wieder zugänglich gemacht. Das Buch war ein Meilenstein und jetzt dürfte es in Erinnerung rufen, was es heißt, Widerstand zu leisten und Risiken für die Freiheit des Wortes auf sich zu nehmen.

Leider ist diese Besinnung notwendig, denn in mancher Hinsicht ist die Freiheit des Wortes gerade heute weltweit in Gefahr. Darauf macht "Reporter ohne Grenzen" in einer anschaulichen Weltkarte mit allzu vielen rot gekennzeichneten, d.h. sehr ernsten Regionen, aufmerksam.

Andreas Wang, Herausgeber der "Sachbücher des Monats" seit 1992

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