Album der Woche | 16.09. - 22.09.2024 - Latin Strings: "Raíces"
Die Leidenschaft für Musik aus Lateinamerika ist dem Streichquartett Latin Strings in die Wiege gelegt, denn die vier in Deutschland lebenden jungen Musiker und Musikerinnen kommen ursprünglich aus Chile und Venezuela. Ihr Debüt-Album "Raíces" haben sie ihren Wurzeln gewidmet und musikalische Schätze von klassischen Komponisten aus Südamerika gehoben.
Die Besonderheit der Musik aus Lateinamerika beschreibt Bratschistin Erika del Valle Cedeno so:
"Es ist eigentlich eine sehr harmonische Mischung zwischen vielen Kulturen. In der Kolonialzeit gab es eine Vermischung zwischen Europa, unseren Ureinwohnern und Afrika. Und ich glaube, diese Mischung, die es über mehrere Jahre gab, hat einen einzigartigen Stil für Lateinamerika hervorgebracht: Es gibt viele Gitarrenklängen, eine rhythmische Vielfalt und sehr schöne Melodien. Die erinnern ganz oft an die Landschaft des ganzen Kontinents - und es gibt auch viele Melodien, die versuchen, über die Liebe und die Natur zu singen."
Auf dem Album finden sich Werke des zeitgenössischen chilenischen Komponisten Juan Antonio Sánchez und von Orlando Cardozo aus Venezuela - außerdem von zwei bedeutenden Komponisten, die nicht mehr leben: dem Brasilianer Heitor Villa-Lobos und von Astor Piazzolla aus Argentinien.
Filmmusik von Astor Piazzolla
Astor Piazzolla, Begründer des "Tango nuevo" oder "Neotango", hatte für einen kurzen Tanzfilm im Jahr 1956 den Soundtrack "Tango Ballet" komponiert, ein sechssätziges Stück, das ein bisschen an Gershwins "Ein Amerikaner in Paris" erinnert. Der Film dazu ging verloren, die Musik aber wurde ein großer Erfolg:
"Es ist quasi ein Spaziergang in den Straßen von Buenos Aires: ganz viel Straßenlärm - oder: du gehst in eine Bar in Buenos Aires und dann hast du diese Tangomusik oder auch viele Liebesszenen, wo es sehr leidenschaftlich und sehr romantisch klingt."
Den Klang des Bandoneons auf Streichinstrumenten imitiert
Die Nostalgie und Eleganz des Tango Nuevo kommen in dem akzentuierten, farben- und kontrastreichen Spiel des Quartetts besonders gut zum Ausdruck. Inspirieren lassen haben sich die Latin Strings von Originalaufnahmen Astor Piazzollas. Da er als Meister des Bandoneons gilt, haben sie versucht, mit ihren Instrumenten den Bandoneonklang möglichst gut zu imitieren, erzählen Cellist Kevin Guerra und Bratschistin Erika Cedeno:
"An vielen Stellen haben wir versucht, den Bandoneon-Klang nachzumachen. Wir waren selbst überrascht, wie das jetzt an manchen Stellen klingt!"
Mit den lebenden Komponisten standen die Latin Strings beim Einstudieren der Stücke in direktem Kontakt. Zum Beispiel mit Juan Antonio Sanchez aus Chile.
Venezolanische Volksmusik "Joropo"
Eine besondere Stellung nimmt auf dem Album "Raíces" der Komponist und Arrangeur Orlando Cardozo aus Venezuela ein, der Klarinette, Mandoline und das venezolanische Instrument Cuatro, wie eine kleine Gitarre, spielt:
"Von Cardozo haben wir zwei Stücke ausgewählt, denn er ist aus unseres Heimat. Wir wollten auch ein bisschen Karibik drin haben. Diese beiden Stücke wurden nach Joropo-Musik komponiert – das ist unsere Volksmusik. Cardozo versucht, diese Volksklänge mit Streichquartettklängen zu verbinden - das ist ganz toll bei ihm!"
Auch der brasilianische Komponist Heitor Villa-Lobos hat Quartette komponiert. Auf "Raíces" ist er vertreten mit seinem 1. Streichquartett, geschrieben wie eine Suite.
Lebens- und Spielfreude
Die Latin Strings zeigen auf ihrem Debütalbum nicht nur eine delikate Auswahl von Werken lateinamerikanischer Komponisten und damit der Welt, was für geniale Musik auf diesem Kontinent entstanden ist. Das Streichquartett präsentiert auch ein Album, das vor Lebens- und Spielfreude nur so strotzt und in jeder Note Leidenschaft und Liebe für Lateinamerika verströmt.
Anne Spohr, radio3