Tapas, Mezze, Antipasti & Co. - Tapas ante portas
Überall, wo Alkohol getrunken wird, gibt es kleine Speisen, die seine Wirkung abfangen sollen. Selbst wenn sie mit beträchtlichem Aufwand zubereitet wurden, signalisiert ihr oft ostentativ anspruchsloses Aussehen, dass der Vortritt weiter den Getränken gehört. Es können dies bloß frugale Dinge sein wie Oliven, Ei und Käse, womöglich nur Brotwürfel mit Olivenöl oder aber ausgewachsene Sandwiches, die diese Aufgabe erfüllen – oder eben das volle Programm: Tapas aus allen Regionen Spaniens.
Diese Kleingerichte wurden nach dem Brauch benannt, einen Deckel aus mit wenigen Elementen bedecktem Brot über ein Weinglas legen - sowohl zur Stärkung als auch zum Schutz des Rebenelixiers. Längst ist daraus ein eigenes kulinarisches Genre geworden.
Theken- und Vitrinenspeisen
Aus ihm können sogar den Abend füllende Menüs entstehen, in der Regel jedoch geht es um handliche Ausschnitte aus der Volksküche, die in Bars und Kneipen geboten werden. Vermutlich ihre Vielgestaltigkeit hat das Wort Tapas zum Synonym für Theken- und Vitrinenspeisen werden lassen. Sushi oder Mezze darf man also als japanische beziehungsweise levantinische Tapas bezeichnen. Bei unseren Bierhappen - etwa bei Boulette, Salzgurke, Solei und Schmalzstulle - zögert man indessen, von einer preußischen Spielart der Tapas zu sprechen.
In Berlin sind Tapas kein populärer Bestandteil der lokalen Imbisskultur. Aber immerhin gibt es mindestens einen Ort, an dem sie auf ziemlich authentische Weise gepflegt werden. Das "Lola" in der Kreuzberger Marheinekehalle ist dabei so etwas wie eine gesamtspanische Institution. Die Rezepte entstammen nämlich den großen Küchenregionen des Landes.
Kleingerichte aus den großen Küchenregionen Spaniens
Während die in den Pyrenäen zur Alltagskultur gehörende Tortilla española oder Tortilla de patatas (Kartoffel-Tortilla), Pimentos (kleine gebratene Paprikaschoten), Fleischklößchen in Tomatensoße sowie der vor Fett grinsende Ensaladilla rusa (russischer Salat) auf der gesamten iberischen Halbinsel verbreitet sind, kommt der beste Jamón Iberico (an der Luft getrockneter Schinken) nach wie vor aus der Estremadura.
Die Vorliebe dieses kargen Landstrichs fürs Rustikale wird von "Lolas" andalusischem Ochsenschwanz mit Schmorzwiebeln auf Fenchelcrème beinahe noch übertroffen. Ganz überraschend geben Anis und Zimt der herzhaften Anlage ein exotisches Flair – dies eine Erinnerung an die maurische Vergangenheit der Region. Die Kichererbsen zum gegrillten Pulpo deuten ebenfalls in diese Richtung. Aus Barbate in der Nähe von Cadiz stammt der leuchtend rote Thunfisch-Schinken, eine besondere Delikatesse, an der Costa da la Luz gerne genossen mit Mandeln und Olivenöl. Letzteres dominiert die südspanische Küche und macht auch vor Süßspeisen nicht halt. Málaga schließlich gilt als Heimathafen eines absoluten Klassikers: der Boquerones fritos, Sardellen aus dem heißen Ölbad.
Die Mancha, Heimat Don Quixotes, steuert den Hartkäse Manchego und diverse Schafskäsesorten zur Tafel bei. Das benachbarte Kastilien-Léon frönt dem Fleisch in vielen Varianten und steckt es auch in dicke, fette Kichererbsen-Eintöpfen. In Kleinformen gibt es diese Gerichte oder zumindest Teile von ihnen auch zum Wein. Mitunter wird Valladolid – einst für ein paar Jahre Hauptstadt ganz Spaniens – als zentraler Ort der Tapas bezeichnet. Gesichert ist das keineswegs.
Kroketten, die im Lola mit Spinat und Sepia in Bechamèl gefüllt werden, sind in Galizien (und im nahen portugiesischen Norden) häufig anzutreffen; die dort noch beliebteren Kohlspeisen und derben Kartoffelgerichte der keltischen Region lassen sich offenbar nicht in Tapas übersetzen.
Katalonien liebt Bratkartoffeln (die im "Lola" meisterlich zubereitet werden) und ebenso Calamares. Vielleicht, weil sie Anlass bieten, mal wieder tüchtig Aioli zu vertilgen. Diese mit Knoblauch versetzte Mayonnaise soll ihren Namen von Mahon herleiten, der Hauptstadt der Insel Menorca. Sie gehört zum Kreis der katalanischen Esskultur.
Gastronomischer Historismus
Stilistisch ist die Tapas-Küche von einfachen, pragmatischen Lösungen geprägt. Sie stellen weniger technische Ansprüche, als sie etwa die Herstellung italienischer Antipasti erfordert. Die Bauformen bleiben innerhalb altvertrauter Koordinaten, so dass man bei dieser verlässlichen Kontinuität fast schon von gastronomischem Historismus könnte. Tapas ähneln mit ihrem oft derben Äußeren am ehesten noch den traditionalistischen Cicchetti, den Häppchen in den Kaschemmen Venedigs. Und wie bei jedem kulinarischen Deminutiv schwingt fast unmerklich auch ein Element der Karikatur mit.
Thomas Platt rbbKultur