Barbara Yelin, Emmie Arbel: Die Farbe der Erinnerung; © Reprodukt
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Comic des Monats – Dezember 2023 - Barbara Yelin: "Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung"

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In der Erinnerung an den Holocaust spielen Zeitzeug*innen eine wichtige Rolle, weil sie unmittelbar erzählen können. Heute leben nur noch wenige dieser Zeitzeugen. Die mehrfach ausgezeichnete Comic-Künstlerin Barbara Yelin hat sich über mehr als drei Jahre mit Emmie Arbel getroffen, die als Kind das Konzentrationslager in Ravensbrück überlebt hat. Der daraus entstandene Comic ist der rbbKultur Comic des Monats.

Schwarz ist der See neben dem Konzentrationslager Ravensbrück, in dem eine große Menge Asche liegt. Für Emmie Arbel ist die Farbe der Erinnerung Schwarz – so erzählt sie es der Comic-Künstlerin Barbara Yelin. Und so arbeitet die das Schwarze immer wieder in den Comic ein: Die Textpassagen, in denen sich Emmie Arbel erinnert sind durchweg schwarz unterlegt und wenn sich Emmie Arbel an ihre Zeit der Verfolgung erinnert, dann wabern schwarze Schwaden durchs Bild.

Der Comic zeigt nämlich nicht nur das Leben der Emmie Arbel, sondern auch, wie Menschen sich an Traumata erinnern. Es gibt zum Beispiel ein Foto in der Ausstellung im KZ Ravensbrück, dass Emmie Arbel so sehr mitnimmt, dass sie sich erbrechen muss. Rund ein Jahr später wacht Emmie Arbel nachts schweißgebadet auf, hat dieses Bild vor Augen und es ist klar, dass die Frau, die da abgebildet ist, etwas so schlimmes getan hat, dass Emmie Arbel sich daran nicht erinnern will. Dabei ist das, was sie zuvor über das KZ erzählt hat, so brutal und erniedrigend, dass es oft kaum auszuhalten ist.

Emmie Arbel: Die Farbe der Erinnerung; Montage: rbbKultur
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Detailreiche und intime Bilder

Barbara Yelin zeichnet ihre Gespräche mit Emmie Arbel in sehr detailreichen und intimen Bildern. Man sieht, wie sie raucht und sich an das stundenlange Stehen bei den Apellen im KZ erinnert oder wie sie einen Yoghurt öffnet und sich dabei fragt, ob so ein Löffel Yoghurt möglicherweise ihre Mutter vor dem Erschöpfungstod gerettet hätte. Und dann folgt ein Bild von der Mutter, wie sie ein paar Tage nach der Befreiung stirbt. Das sind sehr eindringliche Bilder. So macht der Comic auch deutlich, was der Holocaust für diese Menschen, die damals alle Kinder waren bedeutet hat – und bis heute bedeutet.

Genau darin liegt eine große Stärke dieses Comics – dass er nicht mit der Befreiung aus dem KZ endet. Nach der Befreiung kommt Emmie Arbel in ein Kinderheim ins schwedische Mälmo. Dann in eine Pflegefamilie in den Niederlanden, wo Emmie geboren wurde. Dort erlebt sie sexuellen Missbrauch durch den jüdischen Pflegevater, der selbst ein KZ überlebt hat. Barbara Yelin zeigt, dass es im Holocaust nicht nur die guten und die schlechten Menschen gegeben hat. Und sie zeigt, dass alle als Versehrte daraus hervorgegangen sind.

Als Emmie Arbel mit ihrer Pflegefamilie nach Israel geht und im Kibbuz lebt, ist sie dort Außenseiterin, weil sie nicht singen und tanzen kann wie die anderen Kinder. Sie eckt immer wieder an, weil sie sich nie wieder von irgendjemandem etwas sagen lassen will. Sie hat Schwierigkeiten, enge Beziehungen einzugehen. Und als sie Mutter wird, weiß sie nicht, wie sie sich mütterlich verhalten soll, weil die Erfahrungen aus dem KZ all die Erinnerungen an ihre frühe Kindheit ausgelöscht haben.

Emmie Arbel: Die Farbe der Erinnerung; Montage: rbbKultur
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Ein kraftvolles und berührendes Porträt

Es gibt viele niederschmetternde Momente in diesem Comic, viel Schwarz in den Bildern. Und zugleich zeichnet Barbara Yelin immer wieder auch sonnendurchflutete Bilder von dem Haus in Israel, in dem Emmie Arbel wohnt. Sie zeigt, wie sehr Israel für die Menschen, die im Holocaust verfolgt wurden, zu einer Heimat geworden ist, in der sie sich sicher fühlen und mit ihrem Leben auseinandersetzen können.

Emmie Arbel hat nicht ihren Frieden mit dem Holocaust gemacht. Aber sie hat es geschafft, sich mit den Erfahrungen auseinanderzusetzen, die sie bis heute beeinträchtigen – vor allem die Entmenschlichung und Erniedrigung im Konzentrationslager. Und sie wehrt sich dagegen, als Opfer gesehen zu werden: Sie sei stark, sonst hätte sie nicht überlebt. Diese Stärke arbeitet Barbara Yelin immer wieder heraus und zeichnet so ein ebenso kraftvolles wie berührendes Porträt von Emmie Arbel.

Andrea Heinze, rbbKultur

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