Kate Beaton: Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden; Montage: rbbKultur
Zwerchfell & Reprodukt
Bild: Zwerchfell & Reprodukt Download (mp3, 7 MB)

Comic des Monats – Juni 2023 - Kate Beaton: "Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden"

Bewertung:

Die kanadische Comiczeichnerin Kate Beaton galt mit ihren Kultur-Comic-Strips lange als Geheimtipp. Im vergangenen Jahr hat sie in Amerika die autobiografische Grafic Novel "Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden" veröffentlicht – und landete damit nicht nur auf der Liste der Lieblingsbücher von Barack Obama, sondern auch auf der Bestseller-Liste der New York Times. Jetzt ist das Buch auf Deutsch erschienen – der rbbKultur Comic des Monats.

Kate Beaton brauchte Geld – sie hatte im Jahr 2005 ihr Studium beendet und musste ihren Studienkredit zurückzahlen. Mit einem Bachelor of Arts würde sie keine Arbeit finden, die so gut bezahlt ist, dass das geht. Auch weil sie aus dem strukturschwachen Nova Scotia kommt – denn da gibt es sehr viel Natur – und wenig Arbeit. Und es gibt eine lange Abfolge von Menschen, die Nova Scotia verlassen, um in anderen Teilen von Kanada ordentlich Geld zu verdienen.

Davon erzählt Kate Beaton und auch von den Zweifeln der Eltern, die nicht möchten, dass ihre Tochter ans andere Ende Kanadas geht, in ein hartes Arbeitermillieu. Gleichzeitig bezweifeln sie den Sinn ihres Studiums, mit dem sie doch genug Geld verdienen sollte.

Die Ölfelder sind wegen der Zerstörung der Umwelt und der Vertreibung von Indigenen in die Schlagzeilen gekommen – doch darum geht es Kate Beaton zunächst nicht. Kate Beaton zeichnet, wie sie auf den Ölfeldern ankommt, wie sie versucht, sich zu behaupten. Sie bekommt einen Job in der Werkzeugbutze – das ist ein Lager, in dem sich die Arbeiter Ersatzteile und Werkzeuge besorgen. Die Arbeiter sind ausschließlich Männer, es gibt nur wenige Frauen, die in den Büros arbeiten. Und es herrscht ein rüder Ton.

Sexismus gehört dazu

Kate Beaton ist immer wieder mit herabwürdigenden, sexistischen Sprüchen konfrontiert. Sexuelle Verfügbarkeit wird unterstellt. Und als sie bei einem Vorgesetzten um einen anderen Arbeitsplatz bittet, bügelt der sie ab mit dem Verweis, dass das hier eine Männerwelt sei und sie gewusst hätte, worauf sie sich einlasse. Sexismus wird also auch von den Führungskräften als normal und hinzunehmen betrachtet.

Kate Beaton zeichnet all das in gleichförmigen schwarz-weiß Bildern, die mit Graustufen unterlegt sind. Gerade dadurch wird die Monotonie dieser Arbeit deutlich, die ungeheure Einsamkeit und die Ausweglosigkeit. Sie zeigt, wie sie ihr Zimmer im Camp verriegeln muss, weil Männer immer wieder „versehentlich“ in ihre Privatsphäre eindringen. Und sie zeigt, wie sie bei einer Party vergewaltigt wird und bei all dem Alkohol, den sie getrunken hat, zu schwach ist, um sich zu wehren. All das ist Kate Beaton passiert – und es verfolgt sie bis heute, wie Kate Beaton im Nachwort schreibt.

Kein Geld, keine Wahl

Je mehr sich Kate Beaton an das Leben in den Ölfeldern gewöhnt – das dauert mehr als 250 Seiten –, desto mehr hat sie die soziale Frage im Blick: Warum werden die Männer so roh und übergriffig, wie sie es nie vorher erlebt hat? Männer, die aus der gleichen Gegend kommen wie sie selbst. Möglicherweise ist es die Einsamkeit, die Reizlosigkeit der Umgebung, die die Arbeiter in ihrer Männlichkeit noch toxischer werden lässt als an vielen anderen Orten.

Viele der Männer versorgen mit dem Geld aus den Ölfeldern ihre Familien oder haben keine Chance auf eine andere Arbeit. Wer kein Geld hat, der hat keine Wahl.

Der Comic "Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden" ist ein Einblick in eine fremde Welt – und er ist zugleich universell. Denn die Themen, die da verhandelt werden – wie Sexismus, der Umgang mit schlechten Chefs oder wie man sich in Gruppen behauptet, mit denen man wenig gemein hat, sind universelle Themen. Und auch sexuelle Belästigung und Vergewaltigung von Frauen ist leider weit verbreitet.

Mit aller Wucht

Hier ist eine Trigger-Warnung angebracht: Kate Beaton schildert all das so beklemmend, das eigene Erinnerungen präsent werden. Die Dramaturgie des Comics, die den langen Prozess der Anpassung an diese Welt miterleben lässt, lässt die Leser*innen auch die schlimmen Erfahrungen mit aller Wucht nachvollziehen.

Was den Comic besonders groß macht: Kate Beaton verurteilt die übergriffigen Männer nicht. Sie zeigt vielmehr, wie dieses System der Ölförderung, das die Umwelt zerstört, das die Reservate der Indigenen vergiftet – eben auch das Leben der Arbeiter verkümmern lässt.

Andrea Heinze, rbbKultur

Mehr

Vinz Schwarzbauer: Mäander; Montage: rbbKultur
Edition Moderne

- Comic des Monats

Die besten Neuerscheinungen oder auch die lohnendsten Wiederentdeckungen. In unserer Rubrik "Comic des Monats" machen wir auf spannende Lektüre aufmerksam.

Unsere Comic-Expertin Andrea Heinze wählt aus den vielen Neuerscheinungen der grafischen Literatur ihre Empfehlungen aus. Dazu gibt unveröffentlichtes Material Einblick in die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler.

Comic Explosion
imago/McPHOTO

1. Quartal 2024 - Comic-Bestenliste

Das sind sie – die zehn besten Comics des Quartals. 30 Menschen aus Rundfunk, Presse, Fachpresse und Web, die ein Herz für und Ahnung von Comics haben, stellen Neuerscheinungen vor, denen sie ein großes Publikum wünschen.

Download (mp3, 9 MB)