Alberto Breccia: Mort Cinder; Montage: rbbKultur
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Comic des Monats – Januar 2024 - Héctor G. Oesterheld (Text), Alberto Breccia (Zeichnung): "Mort Cinder"

Bewertung:

Die argentinischen Comics des Szenaristen Héctor Oesterhelt sind Klassiker des 20. Jahrhunderts – nicht zuletzt, weil er mit dem Comic "Eternauta" die Schrecken der Militärdiktatur vorweggenommen hat, in der er selbst ermordet wurde. Zusammen mit dem Zeichner Alberto Breccia hat Oesterheld in den 60er-Jahren auch die Comicserie "Mort Cinder" entwickelt, die nun erstmals als deutsche Gesamtausgabe erschienen ist. Und die ist in jeder Hinsicht so herausragend, dass sie der rbbKultur Comic des Monats ist.

Wir lernen Mort Cinder aus der Perspektive von Ezra Winston kennen, einem gebildeten und geschäftstüchtigen Londoner Antiquitätenhändler. Dem wird ein Amulett in Form einer Spinne angeboten – eingewickelt in eine Zeitungsseite mit der Meldung, dass der Mörder Mort Cinder gehängt worden sei.

Das Spinnenamulett hinterlässt rätselhafte Abdrücke auf der Haut, weshalb der Antiquar einen Hautarzt aufsucht. Damit ist Ezra Winstons gemütliches Leben zuende. Denn in den Augen des Hautarztes erscheinen ganz ähnliche Spinnen und es stellt sich heraus, dass sämtliche Menschen, die von der Spinne gezeichnet wurden, böse sind und den Antiquar Ezra Winston verfolgen und umbringen wollen.

Zugleich gerät Winston unter den Einfluss von Mort Cinder, der aus seinem Grab steigt, den Antiquar für seine Zwecke nutzt – aber immer wieder auch vor den übermächtigen Gegnern rettet. Damit gehört der Comic "Mort Cinder" zum allerfeinsten magischen Horrorgenre.

Nicht nur gut oder böse

Mort Cinder und der Antiquar Eszra Winston kämpfen immer wieder gegen übermächtige Gegner. Zu Beginn werden die beiden von einem Bösewicht gejagt, der die Weltherrschaft erringen und sich Menschen durch Gehirnoperationen gefügig machen will. Das ist typisch für den Horror dieser Zeit, etwa die "Dr. Mabuse"-Filme. Was nicht typisch ist: Weder der Antiquar noch Mort Cinder sind nur gut oder böse. Das wird im Laufe der Serie immer deutlicher, wenn die beiden sich anfreunden und Mort Cinder aus seinem Leben erzählt – das offenbar bis in die Antike zurückreicht.

Mort Cinder erzählt, wie er einen Sklaven von einer Galeere rettet, auf der er selbst als Sklave schuftet. Oder er erzählt von einem Soldaten im Ersten Weltkrieg, der desertiert, weil er zu viel Angst hat – und von dessen Mutter, die noch Jahrzehnte später am Bahnhof auf ihn wartet, weil sie hofft ihn wieder zu treffen.

Brutale Geschichten, feine Beobachtungen

Das sind brutale Geschichten und zugleich feine Beobachtungen, wie ganz normale Menschen in die Fänge der Mächtigen geraten und dabei fast zugrunde gehen. Mort Cinder sorgt in diesem Rahmen immer wieder für mehr Menschlichkeit, während der Antiquar Ezra Winston mitunter auf magische Weise in die Handlung verstrickt wird. Héctor Oesterheld unternimmt mit seinem Comic kenntnisreiche Ausflüge in unterschiedliche Epochen und schafft es zugleich, die Spannung über 260 Seiten aufrechtzuerhalten.

Héctor G. Oesterheld, Alberto Breccia: "Mort Cinder"; © avant-verlag
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Verblüffendes Spiel von Licht und Schatten

Die Bilder von Alberto Breccia treiben den Horror noch weiter. Es sind expressive Tuschemalereien und Zeichnungen, in denen er Schwarz und Weiß immer wieder umkehrt. In einer nächtlichen Allee beispielsweise ragen die Bäume weiß in den schwarzen Himmel. Und Ezra Winston, dessen Gestalt von Schatten gezeichnet ist, flieht durch diese Allee, deren Bäume nach ihm zu greifen scheinen.

Das ist ein Spiel von Licht und Schatten, dass immer wieder verblüfft – und dabei experimentiert Breccia immer wieder mit ganz unterschiedlichen Arbeitsweisen: mal kleckst er die Tusche satt auf dass Papier, dann wieder strukturiert er sie so kontrastreich, als hätte er sie mit dem Pinselstiel aufgetragen und an anderer Stelle sind die Linien so fein, wie mit der Feder gezeichnet. Es ist also ein Vergnügen, sich die einzelnen Panel anzusehen.

Starke Bilder, spannende Handlung

Die Zeichnungen sind mindestens ebenso stark, wie die Handlung.Und auch die editorische Leistung ist herausragend. Weil die Originalseiten alle neu eingescannt und bearbeitet worden sind. Und weil die Folgen zum ersten Mal genauso gedruckt wurden, wie sie im Original im argentinischen "Misterix"-Magazin erschienen sind. Das wurde für ein paar Ausgaben im Querformat gedruckt und ist dann wieder im Hochformat erschienen. Das ist vor allem für Comicfans interessant.

Das herausragende an dieser "Mort Cinder"-Ausgabe ist, dass diese durch ihre klaren und starken Bilder und die spannende Handlung auf allen Ebenen begeistert.

Andrea Heinze, rbbKultur

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