Komische Oper Berlin - "Hercules" von Georg Friedrich Händel
Die Treue gegenüber Händel, mit welcher die Komische Oper sich zu ihrer traditionellen Erfolgstrecke bekennt, konnte bisweilen auch schon als Belastung empfunden werden. Die Dinger sind ellenlang. An Initialerfolge von weiland Harry Kupfer anzuknüpfen, stellt auch keine leichte Aufgabe dar. Also lässt man aktuell Barrie Kosky auf Händel los. Das Oratorium gilt heute als eines von Händels schönsten. Etliche Arien erkennt man wieder. Ein überraschend starkes Werk.
Im Verhältnis zur Uraufführung 1745 kann nichts schiefgehen. "Hercules", in wenigen Wochen herausgeschleudert, war für Händel selbst ein solches Desaster, dass der Fortgang der Saison akut gefährdet schien, vorverkaufte Tickets mussten zurückerstattet werden.
Kosky begradigt die Handlung zum Kammerspiel
Kosky selbst wählte das Werk hauptsächlich für seine Hauptdarstellerin. Paula Murrihy – für sie ist es ihr Berliner Bühnen-Debüt – war in Frankfurt schon seine Carmen. Dass solch äußerlicher Grund noch kein Konzept hergibt, merkt man rasch. Für die Familiengeschichte nämlich, als die Kosky die antike Tragödie bis zur Pause interpretieren will, gibt es keine ausreichende Basis. Das lila Sofa, auf leergeräumter Bühne, ist eigentlich ein Requisit des Boulevard-Theaters. Wir kennen es aus anderen, auch schwächeren Kosky-Arbeiten (z.B. "Großherzogin von Gerolstein").
Die Handlung wird hier zum Kammerspiel begradigt – wofür es aber bei Händel zu viele große Chöre gibt. Eine mittelprächtige Kosky-Inszenierung. Eigentlich hat er die Hauptlast seiner Protagonistin aufgebürdet.
Triumph der Mezzo-Sopranistin Paula Murrihy
Dejanira, so heißt die Gattin des Hercules, ermordet diesen nach seiner Rückkehr aus der Schlacht – übrigens unwillkürlich, darin besteht die tragische Pointe. Mezzo-Sopranistin Paula Murrihy kennen wir in Berlin bereits aus Berlioz‘ "Trojanern" (letztes Jahr in der Philharmonie). Ein Triumph der Sängerin. Die großartig-expressiven Reserven ahnt man nicht hinter ihrem kühl verchromten Mezzo kaum – und ist umso beeindruckter. Optisch gesehen: Glenn Close, allein zu Haus‘. Die gefährlichen Liebschaften, die sie wittert, lassen sie später ordentlich ausrasten.
Brandon Cedel singt einen vierschrötig wettergegerbten Hercules. Der Rest ist ebenfalls sehr gut besetzt – am besten der Priester des Jupiter (Noam Heinz). Mehr als virtuos der Chor der Komischen Oper, sichtlich verjüngt. Eine seiner besten Leistungen seit Jahren. Das Orchester, durchaus versatil unter David Bates, klang mir streckenweise zu stumpf, zu schrumm-schrummig schraffierend. Dass ein "normales Orchester" allerdings überhaupt so weit kommt (mit Barockem), ist sehr bemerkenswert.
Kurzum: Apotheose der Hauptdarstellerin. Paula Murrihy Superstar. Kosky musste sie beim Premieren-Applaus geradezu austricksen und an die Rampe schubsen, damit sie sich mal allein verbeugt. Von der Tanzenden zur Rasenden, vom Hausmuttchen zur Gorgo und zur Furie durchläuft sie alle Stadien weiblicher Tragödie und Zirzensik. Großartig, gerade weil die Sängerin tut, als sei es gar nichts.
Kai Luehrs-Kaiser, rbbKultur