Staatsoper Unter den Linden - Lang Lang und die Staatskapelle Berlin
Wenn Lang Lang auftritt, sind die Säle ausverkauft, so auch aktuell bei der Staatskapelle Berlin. Und die Stimmung ist immer entsprechend: großer Jubel und – wie zuletzt – wenigstens ansatzweise stehende Ovationen.
Das zweite Klavierkonzert von Camille Saint-Saëns war es diesmal – "zufälligerweise" passend zur vor kurzen erschienenen Doppel-CD, auf der dieses Konzert enthalten ist. Aber natürlich ist das auch für den Virtuosen Lang Lang das denkbar geeignete Futter – eigentlich.
Eine Karikatur
Es ist schon bemerkenswert und sorgt immer wieder für Erstaunen, was Lang Lang mit seiner Virtuosität zu Wege bringt. Auch hier holt er die Virtuosenkeule heraus und spielt schneller als sein Schatten. Drei Varianten hat er zu bieten: Geschwindigkeitsrekorde, kraftvolles Gedonner wie gerade beim Krafttraining im Fitness-Studio – oder versäuselte Stellen, als wenn jemand den Salzstreuer mit dem Zucker verwechselt hätte.
Nichts gegen Virtuosität und Tempo – das hat und das braucht dieses Konzert, und das macht Freude, wenn es an einer Stelle so aussieht, als würde eine Katze ihre Krallen am Kratzbaum schärfen, wenn Lang Lang die Tasten heruntertatzt. Und als Begleitung für Tom und Jerry passt das ja auch. Nur braucht diese Musik vor allem Witz und Esprit und ein leichtes Augenzwinkern. Bei Lang Lang wird das allzu sehr zur grinsenden Karikatur.
Die Möglichkeiten sind da
Eine Zugabe hat Lang Lang gegeben – und da schien ein gänzlich anderer Pianist am Flügel zu sitzen. Er spielte eine Romanze (op. 30 Nr. 4) der französischen Spätromantikerin Charlotte Sohy. Ein zauberhaftes Stück. Und da vergaß Lang Lang seine ganzen Marotten und Mätzchen und ließ diese Musik zauberhaft duftig und melodisch sich einfach entfalten.
Da hat er angefangen, Musik zu machen. Was hat dieser Künstler für Möglichkeiten – eine atemberaubende Technik und eine beneidenswerte Anschlagskultur. Wie nur kann man ihm helfen, mehr daraus zu machen?!
So und nicht anders
Und Manfred Honeck? Bei Saint-Saëns hat das Orchester nicht gar so viel zu tun, aber dennoch eine wichtige gliedernde Funktion. Manfred Honeck am Pult der Staatskapelle Berlin nimmt das ernst, setzt messerscharfe trennende Akzente, und oft legt er einfach eine dichte Atmosphäre unter die Solo-Kaskaden des Pianisten. Er öffnet den Raum ins Weite. Traumhaft.
Es ist ein Markenzeichen von Manfred Honeck: flexibel im Ausdruck, aber in der Entscheidung direkt, unmittelbar, durchaus auch unerbittlich der Wirkung. So freundlich er auf die Bühne kommt, so schnell wird am Pult dann klar: so und nicht anders. Und Recht hat er.
Dvořák ohne Weichspüler
Antonín Dvořáks Neunte Sinfonie "Aus der Neuen Welt". Aufnahmen ohne Ende. Aber Manfred Honecks Interpretation lässt aufhorchen. Eine Erkenntnis: Ausdruck geht nur ohne Kitsch. Honeck verlangt Extreme: Intensität, Farbigkeit, Formbewusstsein. In den ruhigen Momenten lässt er die Melodien zur Entfaltung kommen. Das alles ist aber kein sentimentales Geschwätz, da wird nichts dem Zufall überlassen, wie er dieser Musik alle falsche Gemütlichkeit und Bequemlichkeit austreibt.
Das ist eine Wohltat: Dvořák ohne Weichspüler, das hat man lange nicht mehr auf diesem Spitzen-Niveau gehört. Da muss man unwillkürlich lange zurückdenken an Namen wie Toscanini, Fricsay oder Kubelik.
Das Schöne danach: Das Publikum hat deutlich länger und intensiver gejubelt als bei Lang Lang. Recht hatte es.
Andreas Göbel, rbbKultur