Philharmonie Berlin - Die Berliner Philharmoniker unter Alan Gilbert
Jeanne d’Arc - auch bekannt als die Jungfrau von Orléans - zog einst als erste Frau überhaupt in einen Krieg. Im Verlauf des Hundertjährigen Kriegs im 14. und 15. Jahrhundert setzte sie sich für ihr Land Frankreich gegen die Engländer ein und wurde dafür am 30. Mai 1431, im Alter von nur 19 Jahren, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Trotz ihres frühen Todes gilt sie bis heute als Märtyrerin, die sich für ihr Land aufopferte. Der Schweizer Komponist Arthur Honegger widmete dieser Nationalheldin ein Oratorium.
Erzählt wird die Geschichte in Rückblenden – der Prozess, eine Krönungsszene, und das alles sehr allegorisch mit phantasievollsten Figuren. Am Ende steigt Johanna verklärt als Flamme in den Himmel.
Arthur Honegger hat das alles für großes Orchester, Chor und Kinderchor besetzt. Die Hauptrollen werden gesprochen, das ist ein Mittelding aus Theater, Oper und Oratorium. Da steht Volksliedhaftes neben pompös aufgedonnerten Höhepunkten. Der Komponist nutzt alle Möglichkeiten, bisweilen hart an der Grenze des Kitsches. Vegan wird hier nun wirklich nicht gekocht.
Verzichtbare Regie
Präsentiert wurde das in einer szenischen Produktion, die vor 12 Jahren in Japan herausgekommen ist, die erste Operninszenierung des Regisseurs Côme de Bellescize. Nun ist die Philharmonie kein Opernhaus, und entsprechend wenig Platz blieb angesichts der großen Besetzung auf der Bühne. Was also von der damals intendierten Regie übriggeblieben ist, konnte man nur vermuten.
Viel gespielt wurde auch nicht. Zwischen Orchester und Chören gab es eine kleine Fläche für die Darsteller. Johanna, Opfer von Rumstehtheater und ganz in Rot gekleidet, durfte immer mal die Fäuste ballen und die Arme heben. Am Ende war alles ebenfalls in Rot getaucht. Der Kinderchor dagegen in quietschbunten bonbonfarbenen T-Shirts, aber das war es auch. Darauf hätte man bequem verzichten können.
Pathos und Kitsch
Für die Titelrolle konnte man immerhin die Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard gewinnen. Aber was sollte sie, von der Regie alleingelassen, anfangen?! Über weite Strecken stand sie in ihrem roten Kostüm und deklamierte, und das in einem Pathos, dass man fast ausgerutscht ist.
Sicher – das ist nicht einfach zu gestalten – was Mensch, was Heilige, aber von Anfang an zu bedeutungsschwer, durch die Mikrofonverstärkung noch zusätzlich aufgedonnert. Am Ende gewinnt sie eine Spur von Menschlichkeit, wenn sie ein Kinderlied zu singen versucht und daran scheitert. Aber insgesamt dominierte ein unangenehmer Kitsch.
Der Höhepunkte: die Vokalhelden
Das Oratorium ist ein Chorstück. Und entsprechend im Einsatz war der MDR-Rundfunkchor – ein phantastisches Ensemble voller Kraft und Energie, in den wuchtigen Höhepunkten präsent und mit überzeugender Einheitlichkeit. Sicher, in Berlin ist man etwa mit dem Rundfunkchor noch ganz Anderes gewöhnt, aber das ist Kritik auf sehr hohem Niveau.
Der Höhepunkt des Abends war aber der Vokalhelden Kinderchor. Das von den Philharmonikern vor gut zehn Jahren ins Leben gerufene Ensemble trug die Aufführung. Das war nicht nur musikalisch sauber, sondern voller Klangschönheit, dazu mit etlichen beeindruckend absolvierten solistischen Partien. Und: die ganze Zeit auf der Bühne, auswendig und voller Spielfreude. Lange hat man einen Kinderchor nicht auf einem so grandiosen Niveau gehört und erlebt.
Solides Handwerk
Alan Gilbert, bei den bekannten Standardwerken der Klassik nicht immer die originellste Wahl, hat hier ganze Arbeit geleistet. Hier brauchte es einen erfahrenen Dirigenten, der Soli, Chor und Orchester zusammengehalten hat. Und er sorgte dafür, dass das Stück nicht im Pathos ertrunken ist, vielmehr hörte man aus dem Orchester auch luftige, duftige Momente, wie aus einer gut sortierten Parfümerie bekommen.
Gilbert weiß, wie man dosieren muss. Er hat musikalisch den Abend gerettet, weil er sein Handwerk bestens versteht. Das ist ein Stück, das, wenn man ehrlich ist, die Welt nicht braucht. Und das nur ins Programm gekommen ist, weil die Philharmoniker Stoff für ihren "Heroes"-Schwerpunkt benötigten. Aber das immerhin musikalisch zum Erfolg zu führen, ist eine Leistung.
Andreas Göbel, radio3