Pierre Boulez Saal - Das Trio con Brio
Seit zweieinhalb Jahrzehnten ist das Trio con Brio aus Kopenhagen auf den Konzertbühnen dieser Welt unterwegs. Hierzulande lange Zeit ein Geheimtipp, zählt die Klaviertrioformation inzwischen auch hier zu den erfolgreichsten Kammermusikensembles, spätestens seitdem das Trio als Nachfolger des legendären Beaux Arts Trios in der Presse gefeiert wurde.
In Wien gegründet, in Kopenhagen beheimatet, bezeichnet sich das Trio con Brio selbst als Fusion zweier sich überschneidender Paare: Die Geigerin und Cellistin sind Schwestern, und der Pianist ist mit der Cellistin verheiratet. Und man darf konstatieren: Geschadet hat es ihrem musikalischen Wirken nicht.
Unberechenbarkeit statt Gediegenheit
Alle drei kennen keinerlei Grenzen, was Ausführung und Tonqualität betrifft, sie verstehen sich blind. Der Vergleich mit dem Beaux Arts Trio ist in Sachen Qualität absolut gerechtfertigt. Nur die interpretatorische Ausrichtung ist dann doch eine andere.
Wo man beim Beaux Arts Trio dann doch immer mal eine gewisse Gediegenheit feststellen musste, ist beim Trio con Brio überhaupt nichts erwartbar, sondern geradezu unberechenbar. Ihre Interpretationen sprühen vor Einfällen, es klingt, als wenn sie die Musik gerade erst erfunden hätten. Aus noch so einfachen Motiven machen sie Erlebnisse. Man darf sicher sein: Selbst wenn sie nur "Alle meine Entchen" spielen würden, würde man gebannt zuhören.
Ponyhof mit Gruselfaktor
Neugierig ist das Trio con Brio auch auf neue Musik. Nicht zum ersten Mal haben sie eine Uraufführung nach Berlin mitgebracht, diesmal das Stück "Apatiens anatomi" der dänischen Komponistin Louise Alenius. Da geht es, der Titel deutet es an, um Apathie, und in den fünf Sätzen gibt es immer wieder ruhige, mitunter erstarrte Momente. Manches klingt ziemlich gefällig nach Neoklassik, mitunter hart an der Grenze zum Kitsch.
Allerdings wird diese scheinbar unbeschwerte Welt immer wieder durch Hektik unterbrochen, da kratzt die Geige, der Pianist zupft in den Saiten seines Flügels, ein Akkord rutscht abwärts, dass der Boden unter den Füßen wegzubrechen scheint. Kurz: Das triefende Pathos wird immer wieder durch leichte Anarchie untergraben, ein wenig Ponyhof mit Gruselfaktor. Eigentlich gut gemacht, nur mit 25 Minuten ist das Stück deutlich zu lang, zumal am Ende aus der Apathie leider nur Langeweile wird.
Lächelnder Genuss
Ludwig van Beethovens Erstveröffentlichung, das Trio op. 1 Nr. 1, zählt längst zu den Standardwerken der Literatur, aber was bedeutet schon Standardwerk, wenn man streckenweise das Gefühl hat, die Musik zum ersten Mal zu hören?! Da gab es Witz und Charme auf höchstem Niveau, immer wieder auch spannungsgeladene Pausen, bei denen man die Luft anhielt.
Das Trio con Brio hat hier Beethoven zutreffend als Musikarchitekten verstanden, der aus kleinsten Elementen ein ganzes Haus baut, und hier bekommt man eine sehr detaillierte Führung durch dieses Haus. Mal wird man behutsam auf Details hingewiesen, mal auch darauf gestoßen, akustische blaue Flecken inklusive. Und alle drei haben ihren Spaß – oft lächelt der Pianist in sich hinein oder blickt auch mal zur Geige, fragend, wie sie jetzt weiterspielt. Es ist ein Genuss.
Niemand wagt zu atmen
Peter Tschaikowskys einziges Klaviertrio ist ein Risiko. Wie oft hat man dieses auf den Tod eines Pianistenkollegen und Gründers des Moskauer Konservatoriums geschriebene Stück nur schwerfällig, tranig und lethargisch gehört. Da klingt es beim Trio con Brio glücklicherweise ganz anders.
Natürlich fehlt auch hier die Trauer nicht, aber sie ist von Erhabenheit getragen. Die Streicher mit melodischem Schmelz, beim Pianisten merkt man nichts vom irrsinnig schweren Part, für den man eigentlich drei Hände benötigte. Hier ist alles entfettet und strahlt voll grandioser Anschlagskultur. Aber Ende, wenn nach dem scheinbaren Triumph alles zum melancholischen Anfang zurückkehrt und es leise verklingt, gibt es sekundenlange Stille im Publikum, niemand wagt zu atmen. So überzeugend hat man das kaum einmal gehört.
Kein Wunder, dass anschließend der Jubel losbrach, absolut verdient – und das Publikum hätte sicher auch eine Zugabe gerne genommen. Aber es gab keine, und das war eine richtige Entscheidung. Nach diesem gigantischen Stück hätte es sich verboten, und so konnte man bewegt und begeistert in diesen Abend gehen.
Andreas Göbel, radio3