Komische Oper Berlin - "Don Giovanni/Requiem" von Wolfgang Amadeus Mozart
Mozarts "Don Giovanni" ist eine der durchtriebensten Figuren der Opernwelt. Um Frauen zu verführen, nutzt er alle Mittel und Wege. Vielleicht wird er deshalb auf deutschen Bühnen so gern und oft gegeben. Auch die Komische Oper legt jetzt eine neue Inszenierung vor, bei der ein Star Regie führt: Kirill Serebrennikov.
Auch dieser da Ponte-Zyklus muss sich der Tatsache stellen, dass "Figaro", "Così" und "Don Giovanni", sobald sie unterschiedlich gut gelingen, im Dreierpack einander runterziehen – anstatt sich wechselseitig zu stärken. Von Kirill Serebrennikovs finalem Teil der Trilogie muss zugleich gesagt werden, dass er der ambitionierteste Teil geworden ist. Serebrennikov hat dafür sogar das (doppelstöckige) Einheitsbühnenbild über Bord geworfen, das eigentlich auch für "Don Giovanni" geplant war.
Kaum länger als gewohnt
Die Aufführung stand mir ein bisschen bevor. Auch im Normalzustand immerhin ist "Don Giovanni" schon gute dreieinhalb Stunden lang. Serebrennikov aber hat noch Mozarts "Requiem" drangehängt. Nur bis zum "Lacrimosa" allerdings, so dass, da in der Oper einige Rezitative und die schönste Arie ("Il mio tesoro") gestrichen wurden, der Abend trotzdem kaum länger ist als gewohnt.
Serebrennikov lässt die Aufführung, zur Musik des "Requiems", mit der Beerdigung des Helden beginnen. Wobei sich herausstellt, dass der Mann im Sarg gar nicht tot ist. Er wird ins Krankenhaus verfrachtet, wo er die Besuche der von ihm Geschädigten empfängt.

Ein musikalisch hochanständiger Abend
Zerlina (Penny Sofroniadou) und Masetto (Philipp Meierhöfer) gehören zum Pflegepersonal. Bei diesem Gang der Dinge wäre ich niemals darauf verfallen, dass es sich – wie ein Blick ins Programmheft verrät – um die verschiedenen Stadien des Bardo handeln soll. Also um jenes Zwischenreich vor der Auferstehung, von dem man im tibetischen Buddhismus ausgeht. Auch die Texte, von (immerhin:) Norbert Stöß nicht sehr stilgerecht gesprochen, schaffen kaum Eindeutigkeit. Zudem: Was geht mich hier der tibetische Buddhismus an?! Der Abend, keine Frage, ist sehr professionell und handwerklich hochstufig gemacht. Dass er nicht aus sich selbst heraus verständlich wird, bleibt ein kapitaler Einwand.
Eigentliches Novum: Donna Elvira ist mit einem Mann besetzt. Don Elviro, hier wohl Ausdruck polyamouröser Neigungen des Verführers, kassiert für die Arie "Mi tradì" vereinzelte, unverdiente Buhs. Bruno de Sá indes ist der erste und einzige Superstar im neu erfundenen Feld des Sopranisten. Mit Countertenören möchte der brasilianische Sänger nicht verwechselt werden. Seine anfangs zwirnhaft dünne, mit Ingwerschärfe überkrönte Stimme mag im großen Saal gewöhnungsbedürftig sein. Keine Frage, dass Bruno de Sá die Sensation des Abends ist.
Hubert Zapiór als Don Giovanni und Tommaso Barea als Leporello sind beides juvenile Schnuffel. Blondgelockte Zuckerjungen. Mit ihren schnarrend-fleischlosen Baritönen und Undercut-Frisuren, hart am Pudel, wirken sie so, als wenn sie von Donna Anna in Fragen der Erotik was lernen könnten. Wobei Adela Zaharia so glamourös singt, als wäre sie eine Traviata. James Gaffigan dirigiert flott, straff und energetisch, etwas derbwandig vielleicht auch. Der Abend ist musikalisch hochanständig.
Regisseur mit Pranken
Ich traf Besucher, die sich vom Schluss, dem Aufstieg Don Giovannis ins Nirwana, sehr beeindruckt zeigten. Mir schien, dass das "Requiem", zweckentfremdet zum Epilog, doch übersteht. Es fügt der unbestrittenen Todesnähe des "Don Giovanni" wenig hinzu. Der Abend zeigt große Kraft und Energie gerade darin, dass er buddhistisch übers Ziel hinausschießt. Zwingend nicht. Wichtiger: Man merkt, über welche Pranke der Regisseur verfügt. Das ist eine fundamental gute Sache.
Kai Luehrs-Kaiser, radio3