Tolia Astakhishvili u. James Richards: Tenant, 2021 © Tolia Astakhishvili u. James Richards; Cabinet, London; Isabella Bortolozzi, Berlin; LC Queisser, Tblisi; Rodeo, London und Piraeus
Tolia Astakhishvili u. James Richards; Cabinet, London; Isabella Bortolozzi, Berlin; LC Queisser, Tblisi; Rodeo, London und Piraeus
Tolia Astakhishvili u. James Richards: Tenant, 2021 | Bild: Tolia Astakhishvili u. James Richards; Cabinet, London; Isabella Bortolozzi, Berlin; LC Queisser, Tblisi; Rodeo, London und Piraeus Download (mp3, 7 MB)

Haus am Waldsee - Tolia Astakhishvili: The First Finger (Chapter II)

Bewertung:

Das Haus am Waldsee in Berlin-Zehlendorf ist seit 1946 ein Ausstellungsort für internationale Gegenwartskunst. Gebaut wurde es aber als Wohnhaus im englischen Landhausstil. Die georgische Künstlerin Tolia Astakhishvili greift in ihrer Ausstellung "The First Finger (chapter II)" die Idee des Wohnhauses wieder auf und verwandelt das Haus am Waldsee in eine raumgreifende Installation.

Grob verspachtelte Rigipswände zergliedern die großzügigen Räume im Haus am Waldsee in kleinteilige, bisweilen düstere Zimmerchen. Im Obergeschoss ist ein Kubus aus Trapezblechen in den Raum gebaut, der an die Absperrung von Baustellen erinnert – und mit viel Aufwand so bemalt wurde, dass er authentisch dreckig aussieht. Aus dem Innern des Kubus dringt der Lärm einer Baustelle. Diese Arbeit hat Tolia Astakhishvili zusammen mit dem Künstler Dylan Pierce gebaut.

Tolia Astakhishvili: KHISHVI, Ganymede, 2018 © Tolia Astakhishvili u. LC Queisser, Tblisi
Bild: Tolia Astakhishvili u. LC Queisser, Tblisi

Kollaborationen

Zweierlei fällt auf in dieser Ausstellung: Zum einen wirken die Räume unfertig und verwahrlost. Und zum anderen gibt es in dieser Ausstellung, die doch eigentlich eine Einzelausstellung von Tolia Astakhishvili sein soll, sehr viele weitere Künstler:innen, die daran mitgewirkt haben. Kollaboration ist ein Arbeitsprinzip der georgischen Künstlerin, erklärt Beatrix Hilke, die die Ausstellung kuratiert hat. Dabei bezieht Tolia Astakhishvili immer wieder auch Künstler:innen ein, die nicht zum etablierten Kunstbetrieb gehören.

Da gibt es zum Beispiel einen Wohnblock aus Tiflis, dessen Struktur die Künstlerin zusammen mit ihrem Vater Zurab Astakhishvili aus Pappe nachgebaut hat. Ein Gebäude, das nie fertig gestellt wurde, inzwischen zerfällt und vermutlich wieder abgerissen werden soll.

Daneben gibt es auch Kollaborationen mit etablierten Künstlern wie James Richards, der im kommenden Jahr mit dem Preis der Nationalgalerie ausgezeichnet wird. Eine Videoinstallation der beiden zeigt unbehauste Räume. Oft sind es Funktionsräume wie Umkleideräume, Gänge, Maschinenräume. Menschen sind hier kaum präsent.

Zerlegung des Ausstellungsortes

"First Finger" hat Tolia Astakhishvili die Ausstellung genannt – es geht dabei um die Grenzerfahrung, wenn ein menschlicher Köper so großer Kälte ausgesetzt ist, dass er einzelne Gliedmaßen absterben lässt, damit der Mensch überlebt. "First Finger" heißt auch ein ganzer Raum in der Ausstellung – der Wintergarten. Das sei das letzte Zimmer im Gebäude, erzählt Tolia Astakhishvili. Es sei wie eine Extremität, wie etwas, das das Gebäude loswerden könnte. Und gleichzeitig ist es auch der schönste Raum.

Tolia Astakhishvili zeigt das Haus am Waldsee als einen Ort, an dem Menschen gewohnt haben. Und zugleich zerlegt sie diesen eigentlich stilvollen Ort so sehr, dass er nicht mehr als Schutz vor der Außenwelt und als Rückzugsraum funktioniert.

Tolia Astakhishvili u. James Richards: Tenant (From Communion to Cannibalism), 2021 © Tolia Astakhishvili; Cabinet, London; Isabella Bortolozzi, Berlin; LC Queisser, Tblisi; Rodeo, London und Piraeus
Bild: Tolia Astakhishvili; Cabinet, London; Isabella Bortolozzi, Berlin; LC Queisser, Tblisi; Rodeo, London und Piraeus

Was wird gebaucht, was kann weg?

Tolia Astakhishvili interessiert in ihrer Arbeit das Verhältnis von Architektur und Mensch. Dabei geht es ihr aber nicht um die Wirkung von repräsentativer Architektur auf den Menschen, sondern eher um die Spuren, die Menschen durch ihre An- oder Abwesenheit hinterlassen. An die Wände im Haus am Waldsee hat sie Spuren von Regalbrettern gemalt, die dort nie gehangen haben – oder Schimmel, der auf einen Wasserrohrbruch schließen lässt. Und dann gibt es immer wieder Materialien, die recycelt worden sind. Zum Beispiel der wuchtige Bilderahmen für eine feine Tintenzeichnung. Das Holz dazu stammt aus einem Abrisshaus aus Tiflis.

Was wird gebaucht, was kann weg? Auch das wird immer in der Ausstellung verhandelt. Antworten gibt die Künstlerin nicht mit ihren Arbeiten – vielmehr spielt sie mit Mehrdeutigkeiten – und installiert die Arbeiten so kunstvoll ineinander, dass es immer wieder neue Facetten zu entdecken gibt.

Andrea Heinze, rbbKultur