Seitan – gegrilltes Seitan-Steak mit Gemüse; © dpa/Karl Allgäuer
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Auf die Würze kommt es an - Uralt, aber voll im Trend: Seitan

Für einige mag Seitan die neueste vegane Erfindung sein. Dabei hat das Fleischimitat aus Weizeneiweiß eine sehr lange Geschichte, die auf die chinesische buddhistische Klosterküche zurückgeht. Heute ist Seitan Grundlage von Fertiggerichten voller Aromen und Zusatzstoffe. Hausgemacht und nach eigenem Gusto abgeschmeckt ist er aber unschlagbar günstig und kann mit seiner bissfesten Textur durchaus Fleisch ersetzen – zumindest in Gerichten, in denen dieses nicht die Hauptrolle spielt: auf Salaten, in Gemüsepfannen, Suppen oder Füllungen.

Es mag skeptisch machen, mit welchem Eifer und mittelmäßigen Ergebnissen die Lebensmittelindustrie versucht, Produkte und Gerichte zu liefern, die so aussehen und schmecken, als seien sie aus Fleisch. Letztendlich gibt es in allen traditionellen Küchen genügend gute fleischlose Rezepte aus der Zeit, als Fleisch nur selten auf den Tisch kam.

Seitan – Rohmasse; © dpa/imageBROKER/Ulrich Fuchs
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Illusion von Fleisch

Dennoch gab es schon früher Versuche, die Illusion von Fleisch zu erzeugen. Lebensmittel aus gekochtem Getreideeiweiß wurden in China schon vor fast 1.500 Jahren hergestellt und waren ebenso verbreitet wie Tofu und Tempeh. Mit der Verbreitung des Buddhismus von China nach Japan und Korea wurde vegetarische Ernährung in Klöstern zu Pflicht. Dennoch legten die Mönche Wert darauf, ihren Besuchern – ob einfache Pilger oder Wohltäter – keine ärmlichen, asketischen Speisen aufzutischen. Aus gekochtem Getreideeiweiß formten sie Fake-Gerichte wie "taubscharfes Hühnchen", "Gongbao-Fleisch", "süßsaurer Karpfen" und "gedämpfte Ente" – natürlich alles fleischlos.

Diese Küche, genannt "Fang-Huncai", hat sich in manchen chinesischen Klöstern bis heute gehalten. Wahrscheinlich gab es solche Versuche in allen Küchen der Welt. Der sizilianische Auberginensalat Caponata scheint aus der Not entstanden zu sein, den teuren Fisch "Capone" (Lampuga) mit einer günstigeren Zutat zu ersetzen.

Hausgemacht schlägt Fertigprodukte

Die Eigenschaften des Glutens haben jedenfalls auch in Europa Fachleute beschäftigt. Verschiedene Schriften in Italien und England zeigen, dass im 18. und 19. Jahrhundert Seitan als Proteinquelle bekannt war und es üblich war, Gluten aus Weizen zu gewinnen. In den 60er Jahren hat Seitan in Japan im Zuge des Makrobiotik-Trends diesen Namen erhalten. Das Produkt ist dann auch in den USA entdeckt und kommerzialisiert worden. Gerade dieses Öko-Image macht Seitan für viele nicht gerade attraktiv: Er steht für Verzicht auf sorglosen Genuss und vor allem für Fertiggerichte, die teuer sind und bestenfalls mittelmäßig schmecken.

Auch die Vorteile, die das Produkt mit sich bringt – die bissfeste, fleischartige Konsistenz, der hohe Proteingehalt bei minimalem Anteil an Cholesterin und Kohlenhydraten, die vielen wichtigen Nährstoffe und Mineralien – relativieren sich, wenn man einen Blick auf die Zutatenliste vieler Supermarktprodukte wirft: Die Liste der Zusatzstoffe ist oft sehr lang.

Dabei lässt sich Seitan unkompliziert und billig zu Hause herstellen. Am besten eignet sich Hartweizenmehl (Semola), das ja viel mehr Geschmack mitbringt als normales Mehl. Einmal mit Wasser oder Brühe vermischt, muss aus dem Teigklump die Stärke ausgewaschen werden: was übrig bleibt ist Gluten. Das Glutennetz, dem Seitan die faserartige Struktur verdankt, ist sozusagen das Muskelgewebe des Weizens. Anschließend wird der Teig lange in einer gewürzten Brühe gegart, um ihn verdaulicher und schmackhafter zu machen. Er kann nach eigenem Gusto gewürzt werden – z.B. mediterran, asiatisch, orientalisch oder mexikanisch - sowohl in der Herstellung (dem Kneten und dem Garen in der Brühe), als auch bei der Zubereitung mit anderen Zutaten: als Grundlage für Füllungen, für Gemüsepfannen und als Beigabe für Salate und Suppen, möglichst in Kombination mit Erbsen, die reich an Lysin sind: diese lebenswichtige Aminosäure ist im Weizen kaum enthalten ist.

Fleischalternative für Zwischendurch

Bei allen wichtigen Nährstoffen, die Seitan mit sich bringt, eignet er sich in keinem Fall, um tierische Proteine vollständig zu ersetzen. Er ist zwar eine gute vegane Alternative für Soja-Allergiker, eignet sich aber selbstverständlich nicht für Menschen, die Gluten nicht vertragen. Selbst für Menschen, die nicht an Zöliakie leiden, ist nicht empfehlenswert, Seitan jeden Tag zu essen. Gluten in konzentrierter Form macht länger satt, ähnlich wie Fleisch, ist aber nicht so leicht zu verdauen. So ist Seitan kein Lebensmittel für jeden Tag, sondern einfach eine von vielen Zutaten, mit denen sich eine abwechslungsreiche, gesunde Küche gestalten lässt. Und mit der sich Fleisch in all den Fällen ersetzen lässt, in denen nicht der Geschmack, sondern eher die Gewohnheit dazu greifen lässt.

Seitan selbst stellt nur seine interessante Textur zur Verfügung. Der Geschmack selbst kommt von den eingesetzten Gewürzen, Saucen und Marinaden: Im Grunde fast genauso wie bei mancher Hühnerbrust. In Gerichten, in denen der Geschmack vom Fleisch nicht im Vordergrund steht, richtet Seitan also wenig Schaden an. Ihn zwischendurch als selbstgemachten Fleischersatz einzusetzen, anstatt automatisch zu den bewährten Fleischprodukten zu greifen: das würde selbst die "Fleisch ist mein Gemüse"-Fraktion überleben.

Elisabetta Gaddoni, rbbKultur

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