Il Ristorante Medel © Thomas Platt
Thomas Platt
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Italienisches Nachbarschafts-Restaurant in Kreuzberg - Il Ristorante Medel

Bewertung:

Ein unspektakuläres, familiäres Nachbarschafts-Ristorante stillt eine Sehnsucht, der Berlin zu oft die kalte Schulter zeigt. Im Parterre eines Kreuzberger Gründerzeitbaus mit schönem Bezug zur Straße gibt es sie noch, die einfachen hausgemachten Gerichte des Südens, die auch das Herz wärmen.

Nur wenige Schritte entfernt von einem berühmten Sterne-Restaurant, aber nicht im geringsten im Fokus des kulinarischen Interesses, tritt das "Medel" wie der Inbegriff des Gewöhnlichen auf – allerdings im denkbar positiven Sinn. Jedoch ist dieses Gewöhnliche der Hauptstadt weitgehend abhanden gekommen, womöglich sogar exotisch geworden – und zugleich etwas, zu dem sich jeder hingezogen fühlt: ein familiäres Ristorante mit hausgemachten, handwerklich untadelig zubereiteten, ja mit einer Prise Liebe versehenen Speisen.

Keine Inszenierungen

Dass sie im Rahmen des Herkömmlichen bleiben und nicht in das übergehen, was man als Interpretation oder Inszenierung bezeichnet, steigert das heimelige Gefühl. Dennoch besitzen das großartige feinporige Hausbrot (Pane casareccio), Carpaccio di manzo, das Vitello tonnato, Penne all‘arrabiata oder die Pizza quattro formaggi eine eigentümliche und unverwechselbare wie auch allgemeine Note. Ihnen fehlt jedoch völlig jener anonyme Charakter, den populäre italienische Klassiker in der zeitgenössischen Gastronomie anzunehmen pflegen. Die Portionen stellen sich auch dem avancierten Appetit, ohne dabei den Eindruck von Ansammlung und Fülle zu erwecken.

Endgültig das bloß Authentische überschreitet dann eine ländliche Löffelspeise: Crema d’Aglio. Nach dessen die Italianità zusammenfassenden Charakterzügen mag man überhaupt nicht mehr einsehen, warum ausgerechnet diese zauberhaft milde, sämig-gebundene Knoblauchsuppe mit Rosmarin und Parmesan von den Speisekarten Mitteleuropas je hat verschwinden können (Preise zwischen 5 und 25 Euro).

Il Ristorante Medel © Thomas Platt
Bild: Thomas Platt

Herzerwärmend

Faszinierend ist, in welcher Weise sich der Gastraum mit seinem kalten Punktstrahlerlicht und dem hellen Fliesenboden zunächst - übrigens keineswegs untypisch für Italien - vordergründiger Gemütlichkeit verweigert. Dieser Eindruck wird noch gesteigert durch die Tatsache, dass er Elemente davon – historisches landwirtschaftliches Gerät, darunter Sichel, Säge und Kummet, altertümliche Flinten, geschnitzte Holzreliefs, Genrebildchen und Veduten in Öl und goldenem Rahmen, natürlich eines mit dem lustigen Mönch, ein ausgestopfter Fasan, das von der Decke baumeldende Kupferkesselchen sowie die hüfthohe Skulptur eines Holzhackers und, ja, selbst ein Bacchus fehlt nicht – geradezu provokant ausstellt. Sobald jedoch Leonora, die Tochter der aus Mazedonien stammenden Wirtsfamilie Emini, an den Tisch tritt, wendet sich alles zum Guten. In ihrer aparten Natürlichkeit, in ihrem Allegro non troppo scheint alles aufgehoben, was den Besuch im "Medel" zu etwas Besonderem macht.

Thomas Platt, rbbKultur

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