Militärparade der polnischen Streitkräfte in Warschau, Bild: picture alliance/dpa/AP/Czarek Sokolowski
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Die Debatte mit Natascha Freundel, Nico Lange und Karolina Wigura - Militärmacht!? Zeitenwende in Polen und Deutschland

"Wir gehen durch eine Katharsis." Karolina Wigura

Polen und Deutschland, Nachbarn in Europa, geprägt vom deutschen Vernichtungsfeldzug im Zweiten Weltkrieg, offiziell versöhnt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, driften scheinbar immer weiter auseinander. Besonders seit Russlands umfassendem Überfall auf die Ukraine und besonders in der Verteidigungspolitik werden die Differenzen zwischen beiden Ländern deutlich: Während Polen plant, zur stärksten Militärmacht Europas zu werden, bleibt die "Zeitenwende"-Losung von Bundeskanzler Scholz mehr Theorie als gelebte Praxis.

Über die deutsch-polnischen Verhältnisse in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik denken die Ideenhistorikerin Prof. Karolina Wigura und der Sicherheitsexperte Nico Lange mit Moderatorin Natascha Freundel nach.

Es ist Zeit, dass die Polen und die Deutschen zusammenarbeiten, weil wir gemeinsame Feinde und gemeinsame Freunde haben. Und wir sind im selben Bündnis. Das ist sehr wichtig. Nicht nur in einem Bündnis, sondern mindestens in zweien, in der NATO und in der Europäischen Union. Paradoxerweise gehen wir jetzt durch eine Katharsis. Und es braucht ein vernünftiges Leadership, und zwar von beiden Seiten, damit wir diesen Prozess als Chance betrachten können.

Karolina Wigura

Polen wird stärker, militärisch, und das heißt auch Polen wird in der Nato eine gewichtigere Stimme haben. Auch die Zukunft der europäischen Sicherheit kann man nicht mehr nur mit diesem etwas antiquierten Modell des deutsch-französischen Motors beschreiben, sondern man wird da mit Polen, mit den baltischen Staaten, auch mit den skandinavischen Staaten sehr stark reden müssen, weil die im Grunde jetzt die Diskussion stärker führen, als die klassische Achse Frankreich und Deutschland.

Nico Lange
Nico Lange (© Tobias Koch) und Karolina Wigura (© Dariusz Golik)
Nico Lange und Karolina Wigura | Bild: Tobias Koch | Dariusz Golik

Gäste

Nico Lange, geboren 1975 in Berlin, ist seit Juli 2022 Senior Fellow der Zeitenwende-Initiative bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Zuvor leitete er von 2019 bis 2022 den Leitungsstab im Bundesministerium der Verteidigung und war 2018 bis 2019 stellvertretender Bundesgeschäftsführer der CDU mit gleichzeitiger Führung der Stabsstelle Strategische Planung und Internationale Politik. In der Konrad-Adenauer-Stiftung war er 2006 bis 2012 Chef des Auslandsbüros in der Ukraine (Kiew) und 2017 bis 2018 des Auslandsbüros in den USA (Washington D.C.). Er hat u.a. Politikwissenschaft in Greifswald studiert, forschte und lehrte mit einem Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung an der Staatlichen Universität in St. Petersburg und war als Zeitsoldat der Bundeswehr u.a. in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo im Einsatz.

Prof. Karolina Wigura, geboren 1980 in Warschau, ist Ideenhistorikerin, Soziologin und Journalistin sowie Mitglied des Verwaltungsrats der Stiftung Kultura Liberalna in Warschau und Senior Fellow des Zentrums Liberale Moderne (LibMod) in Berlin. Wigura studierte Sozialwissenschaften, Philosophie und Politikwissenschaften an den Universitäten München und Warschau. Ihre zentralen Themen sind politische Philosophie des 20. Jahrhunderts, Emotionen in der Politik und die Ethik der Erinnerung. Sie ist Autorin von "Wina narodów: przebaczenie jako strategia prowadzenia polityki" ("Die Schuld der Nationen: Vergebung als Strategie der Politik" – Józef-Tischner-Preis 2012) und "Wynalazek nowoczesnego serca. Filozoficzne źródła współczesnego myślenia o emocjach" ("Die Erfindung des modernen Herzens. Philosophische Quellen des zeitgenössischen Denkens über Emotionen" – Nominierung für den Tadeusz-Kotarbinski-Preis 2020). Ihre Texte veröffentlichte sie u.a. in The Guardian, The New York Times, Neue Zürcher Zeitung, Gazeta Wyborcza und anderen Zeitschriften. Ihr Buch (mit dem konservativen und katholischen Intellektuellen Tomasz Terlikowski) "Polka ateistka kontra Polak katolik" (Polin-Atheistin vs. Pole-Katholik) war 2022 ein Bestseller in Polen. Ende Oktober 2023 erscheint bei Suhrkamp ihr Essay (mit Jarosław Kuisz): "Posttraumatische Souveränität" über die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf Mittel- und Osteuropa.

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Debatte mit Natascha Freundel & Gästen - Der Zweite Gedanke

Hier wird nicht nur debattiert, hier wird auch zusammen nachgedacht. Über alles, was unser Miteinander betrifft. Bildung, Digitalisierung, Demokratie, Einsamkeit, Freiheit, Klima, Kultur, Städtebau, Visionen - die Themen liegen in der Luft, nicht erst, aber besonders deutlich seit der Corona-Pandemie. Jede Folge widmet sich einer Frage unserer Zeit. radio3-Redakteurin Natascha Freundel spricht jeweils mit zwei Gästen, die wissen, wovon sie reden. Philosophisch, aber nie abgehoben. Persönlich, aber nicht privat. Kritisch und konstruktiv. Hier soll es nicht knallen, sondern knistern. Immer auf der Suche nach dem zweiten, neuen Gedanken.