Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht mit Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, im Bundestag. © dpa/Michael Kappeler
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Die Debatte mit Natascha Freundel, Helene Bubrowski und Michel Friedman - Streitkultur braucht Fehlerkultur

"Über das Wichtige wird zu wenig gesprochen, über das Unwichtige zu viel." (Helene Bubrowski)

Der Wohlfahrtsstaat erodiert, die Ungleichheit wächst, die sozialen Systeme – Bildung, Gesundheit, Pflege – kranken an Personalmangel und Unterfinanzierung: "Schlaraffenland abgebrannt" diagnostiziert Michel Friedman in seinem aktuellen Buch, das Alarm schlägt und zu einem neuen Denken und Handeln ermutigen möchte. Zu einer Überwindung der Angst vor Klimakatastrophe und Krieg durch eine neue Streitkultur und "skeptischen Optimismus". – Eine neue Fehlerkultur in der Politik könnte ein Anfang sein. In Ihrem Buch "Die Fehlbaren. Politiker zwischen Hochmut, Lüge und Unerbittlichkeit" nimmt Helene Bubrowski den Berliner Politikbetrieb unter die Lupe, kritisiert aber auch die eigene Zunft, die Medien. Sie hat viele politische Akteure getroffen, die lieber die Fassade wahren, und einige wenige, die sich mehr Mut zu ehrlichen Debatten wünschen.

Streit wird häufig so negativ konnotiert, ohne Grund. Streiten gehört zur Demokratie, ist quasi die DNA von Demokratie. Das Ringen um die beste Lösung ist ganz wichtig. Dann muss es halt in funktionierenden Regierung irgendwann zu Ergebnissen kommen. Aber wenn es wie jetzt in der Ampel mit wüsten Beschimpfungen und Verletzungen einhergeht, dann ist es kontraproduktiver Streit, der dann wahrscheinlich nicht zum besten Ergebnis führt. Fehlerkultur passt natürlich insofern dazu, dass man nicht auf einer Sache beharren sollte, wenn man weiß, dass sie falsch ist, sondern fähig sein sollte, sich selber zu korrigieren. Lösungen, die man gefunden hat, nachzujustieren, wenn sie nicht mehr passen. Sich selber vielleicht auch manchmal nicht so wichtig nehmen, dann kommt es auch leichter zu guten Ergebnissen.

Helene Bubrowski

Die gesamte politische Elite ist nicht in der Lage, und das seit Jahren und Jahrzehnten, jetzt erst recht nicht, sich zu positionieren: Wo sind wir denn wirklich, wenn wir sagen: 'Die Würde des Menschen ist unantastbar?' Wo positionieren wir uns in Eindeutigkeit? Wer hat in den letzten 20,30 Jahren wirklich intensiv verhandelt, auch mit jungen Menschen? Auch junge Menschen untereinander? Was verstehen wir unter Demokratie? Was verstehen wir unter der Würde des Menschen, die unantastbar ist? Was verstehen wir unter einer sozialen, gerechten Gesellschaft? Was verstehen wir überhaupt unter Freiheit?

Michel Friedman
Helene Bubrowski (© privat) und Michel Friedman (© Gaby Gerster)
Helene Bubrowski und Michel Friedman | Bild: privat | Gaby Gerster

Gäste

Helene Bubrowski, geboren 1981 in Hamburg, ist seit 2018 Parlamentskorrespondentin der F.A.Z. in Berlin, zuständig für die Grünen und die Innen- und Rechtspolitik. Sie studierte Rechtswissenschaften in Köln und Paris, promovierte im Völkerrecht und forschte an der McGill University in Montreal. Sie absolvierte das Rechtsreferendariat am Kammergericht Berlin und war in einer Wirtschaftskanzlei, im Bundesjustizministerium und in der EU-Kommission in Brüssel tätig. Nach dem zweiten Staatsexamen kam sie 2013 in die politische Nachrichtenredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit Andreas Scheuer ihr 2020 in einer Talkshow erklärt hat, warum er nichts falsch gemacht hat, liegt ihr Fokus auf dem Umgang von Politikern mit ihren Fehlern und Fehleinschätzungen. Ihr Buch "Die Fehlbaren. Politiker zwischen Hochmut, Lüge und Unerbittlichkeit" ist im Frühjahr 2023 bei dtv erschienen.

Michel Friedman, geboren 1956 in Paris, ist Rechtsanwalt, Philosoph, Publizist und Moderator. Von 2000 bis 2003 war er stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland und Herausgeber der Wochenzeitung "Jüdische Allgemeine" sowie von 2001 bis 2003 Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses. Er engagiert sich gegen Rechtradikalismus und für die Integration Geflüchteter. Seit 2016 ist er Honorarprofessor für Immobilien- und Medienrecht und leitete bis 2022 das von ihm mitbegründete Center for Applied European Studies an der Frankfurt University. Er moderiert u. a. die Sendung "Auf ein Wort" bei der Deutschen Welle sowie die Veranstaltungsreihen "Friedman im Gespräch" im Berliner Ensemble, das SWR-Demokratieforum auf dem Hambacher Schloss sowie "Denken ohne Geländer" im Jüdischen Museum Frankfurt am Main. 2022 erschien im Berlin Verlag sein Bestseller "Fremd". Darauf folgt nun sein Buch "Schlaraffenland abgebrannt. Von der Angst vor einer neuen Zeit" (Berlin Verlag 2023).

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Debatte mit Natascha Freundel & Gästen - Der Zweite Gedanke

Hier wird nicht nur debattiert, hier wird auch zusammen nachgedacht. Über alles, was unser Miteinander betrifft. Bildung, Digitalisierung, Demokratie, Einsamkeit, Freiheit, Klima, Kultur, Städtebau, Visionen - die Themen liegen in der Luft, nicht erst, aber besonders deutlich seit der Corona-Pandemie. Jede Folge widmet sich einer Frage unserer Zeit. radio3-Redakteurin Natascha Freundel spricht jeweils mit zwei Gästen, die wissen, wovon sie reden. Philosophisch, aber nie abgehoben. Persönlich, aber nicht privat. Kritisch und konstruktiv. Hier soll es nicht knallen, sondern knistern. Immer auf der Suche nach dem zweiten, neuen Gedanken.