Russland vor der Wahl – Werbetafeln mit mit Wahlplakten für Wladimir Putin © picture alliance / Picvario Media | Dmitry Golubovich
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Die Debatte mit Ann Kristin Schenten,Sabine Adler und Michael Thumann - Chloroformierte Gesellschaft? Russland vor den Wahlen

"Mit Nawalny wurde auch die russische Hoffnung beerdigt." Michael Thumann

Das Ergebnis dieser Wahlen steht schon fest. Russlands Präsident Wladimir Putin wird sich Mitte März wieder bestätigen lassen. Ernsthafte Gegenkandidaten hat er nicht zugelassen. An die Wahlurnen gerufen wird eine politisch weitgehend apathische Bevölkerung, die im Zweifel doch hinter dem Machthaber und seinem Krieg gegen die Ukraine steht.

Diese politische Indifferenz reiche Jahrzehnte zurück, so Sabine Adler, Osteuropaexpertin des Deutschlandfunks. Politisches Engagement sei seit dem Kommunismus mit der Angst vor Repression verbunden. Hoffnungen auf Veränderungen hätten die Russinnen und Russen kaum noch, spätestens mit Nawalny seien sie gestorben, meint Michael Thumann, Moskau-Korrespondent der Zeit. Allerdings zeige die russische Geschichte, dass einzelne Personen die Zeitläufte durchaus verändern können.

Es gibt Zeiten, da ist das Nichtwählen in Russland sinnvoll. Die heutige Zeit würde ich dazu zählen. Man weiß, dass die Zahlen verfälscht werden. Aber es gab andere Zeiten, da sind Russen auch nicht wählen gegangen. Unter Boris Jelzin gab es mehr oder weniger freie, wenn auch nicht faire Wahlen. Man hätte damals für Oppositionskandidaten stimmen können. Das sind Verhaltensweisen noch aus kommunistischen Zeiten. Man hat sich von der Politik ferngehalten, weil man wusste, dass es ein Nachteil werden kann. Das konnten die Menschen nicht ablegen und blieben da stecken, weil sie nicht verstanden haben, dass sie mit Wahlen durchaus etwas ausdrücken können.

Sabine Adler

Ein treuer Paladin Putins sagte mal: ‚Wenn es Putin gibt, dann gibt es Russland. Wenn es Putin nicht gibt, gibt es auch kein Russland mehr.‘ Darüber soll hier abgestimmt werden. So versucht man, die Menschen in möglichst großer Zahl an die Wahlurne zu kriegen und die eigentliche politische Apathie im Land zu durchbrechen. Das ist die Aufgabe der Polittechnologen in Russland. Man mobilisiert die Menschen einmal kurz zur Wahl, um sie danach wieder zu chloroformieren. Danach sitzen sie wieder zuhause und interessieren sich nicht dafür, was Putin genau macht.

Michael Thumann
Michael Thumann (© DZ-TeamOptik) und Sabine Adler (© Natascha Zivadinovic)
Michael Thumann und Sabine AdlerBild: DZ-TeamOptik | Natascha Zivadinovic

Gäste

Sabine Adler, geboren 1963 in Zörbig, ist Leiterin des Reporterpools für Osteuropa für die drei Programme des Deutschlandradios. Sie berichtete fünf Jahre als Korrespondentin aus Moskau, war Leiterin des DLF-Hauptstadtstudios in Berlin und Korrespondentin im Studio Warschau mit Schwerpunkt Polen, Belarus, baltische Länder und Ukraine. Sie schrieb u.a. "Ich sollte als Schwarze Witwe sterben" über tschetschenische Selbstmordattentäterinnen (DVA 2005). Im Aufbau Verlag veröffentlichte sie "Russisches Roulette. Ein Land riskiert seine Zukunft" (2011) und 2022 "Die Ukraine und wir. Deutschlands Versagen und die Lehren für die Zukunft". Im Februar 2024 erscheint ihr neues Buch "Was wird aus Russland" bei Ch. Links.

Michael Thumann, geboren 1962 in Lüchow, ist Außenpolitischer Korrespondent der Wochenzeitung Die Zeit mit Sitz in Moskau und Berlin und schreibt über Russland, Osteuropa und internationale Politik. Seit 2021 leitet er zum dritten Mal das Moskauer Büro der Zeit. Davor schrieb er über internationale Politik aus Berlin. Bis 2013 war er Zeit-Korrespondent für den Nahen und Mittleren Osten mit Sitz in Istanbul. Bis Ende 2007 koordinierte er die außenpolitische Berichterstattung der Zeit. Von 1996 bis 2001 war er der Zeit-Korrespondent in Moskau und berichtete über Russland und die islamischen Völker des Kaukasus und Zentralasiens. Im vergangenen Jahr erschien sein neustes Buch "Revanche. Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat." bei CH. Beck. Mitte März 2024 erscheint es in einer aktualisierten Fassung als Taschenbuch.

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