Kat Menschik, Asta Nielsen: Im Paradies © Galiani Berlin
Bild: Galiani Berlin

Erzählungen - Kat Menschik, Asta Nielsen: "Im Paradies"

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Sie gilt als der erste Filmstar der Kinogeschichte: Asta Nielsen. Sie war weltweit das Gesicht der großen Stummfilmära, vor allem aber in Deutschland für ihre Vielseitigkeit und Schönheit geliebt und bewundert. Sie war aber nicht nur Schauspielerin, sondern auch Künstlerin und Schriftstellerin. Der Galiani Verlag gibt zusammen mit Kat Menschik in der Reihe "Illustrierte Lieblingsbücher" nun einige – zum Teil bisher in Deutschland unveröffentlichte – Erzählungen von Asta Nielsen heraus.

So blausilbern und rot getupft, wie Kat Menschik den kleinen Band illustriert hat, so heiter, leicht und feinsinnig sind die Erzählungen Asta Nielsens. Schon bei der ersten, titelgebenden Geschichte "Im Paradies" verblüfft und amüsiert Nielsen mit jeder Zeile, in der sie den Besuch bei ihrem Freund, dem Geigenbauer König, in Brandenburg beschreibt, der sich – aus seiner Sicht - ein ganz eigenes Paradies auf einem ungepflegten Grundstück mit Bruchbude erschaffen hat:

"König bewegte sich auf Zehenspitzen über den Zahnbürstenboden Richtung Wäscheleine. Als er vorsichtig die aufgehängten nassen Sachen beiseiteschob, ertönte erst ein gellender Schrei, dann sah man eine splitterfasernackte Frau, begleitet von einem ebenso nackten kleinen Jungen, in die Richtung von Herrn Königs vermuteter Villa davonrennen. Er aber blickte erst entzückt umher, und dann sah er uns an: Na, was sagen Sie nun? Ist es nicht ein Segen, sein eigener Herr zu sein?“ Wir sagten nichts, und das war auch das Beste, denn Kindt und ich besitzen beide einen wahrheitsliebenden Charakter."

Geschichten wie Filmszenen

Zugleich liebevoll und schonungslos beschreibt Asta Nielsen die absurden Einfälle und skurrilen Eigenarten ihrer Freunde, beobachtet gewitzt und klug, beschreibt mit herrlich trockenem Humor leichtfüßig Szenen wie aus dem Drehbuch einer Komödie. Es ist zwar kein Geheimnis, dass Asta Nielsen nicht nur eine Schauspielerin, sondern auch Autorin war, doch ist dieses schmale Büchlein eine Entdeckung.

Die Welt der deutschen Bohème des frühen 20. Jahrhunderts ist plötzlich wieder quicklebendig, wenn Nielsen beschreibt, wie sie von ihrer Landpartie in Stöckelschuhen endlich zurück in der Stadt ist:

"Wieder in Berlin, sanken wir halb tot vor Hunger und Müdigkeit auf Kempinskis Terrasse zusammen. (…) „Wie glücklich sie sind, diese Königs“, sagte ich. „Warum beneiden wir sie eigentlich nicht?“ „Weil Mosel nun einmal besser kalt als warm schmeckt“, war Kindts tiefsinnige Antwort, als er sein Glas hob. Während ich zu den vielfarbigen Neonlichtern schaute, fand ich, dass der Kurfürstendamm noch nie so schön war wie heute."

Melancholie unwiederbringlicher Zeiten

Trotz allen Witzes sind Asta Nielsens Erzählungen nie belanglos: In ihrer Kindheitserzählung "Eine Rose ist eine Rose ist - nicht immer – eine Rose" beschreibt sie erst scheinbar egozentrisch ihren Mädchentraum, eine Rose am Hut zu tragen, den ihr – trotz der Armut der Familie – ihre geliebte ältere Schwester erfüllt. Die kleine Asta muss unentwegt zu ihrer schönen Rose hochgucken – und fällt deswegen ständig hin: "Plötzlich betrachtete mich mein Vater verstört und sagte: 'Was ist mit dem Kind los? Das schielt ja.' 'Nein, nein', klärte ihn meine Schwester auf, 'sie schaut nur auf ihre Rose'.

Die Kindheitsanekdote nimmt überraschend eine tragische Wendung, denn die geliebte große Schwester stirbt und nimmt eine Rose mit ins Grab. Auch über den Erinnerungen an Berlin, München oder ihre Lieblingsinsel Hiddensee schweben melancholische Schatten. Nielsen erzählt vom letzten Weihnachtsfest mit Freunden aus ganz Europa, kurz bevor der Erste Weltkrieg ausbricht und sie alle trennen wird, auch in späteren Erzählungen schimmert immer wieder die Trauer um eine unwiederbringlich vergangene Zeit durch:

"Ich glaube nicht, dass es – vor der Hitlerzeit – irgendeine Stadt in der Welt gegeben hat, in der das Frühjahr eine so überwältigende Pracht von blühenden Kastanienbäumen bot wie in Berlin. (…) Wie habe ich diese Stadt geliebt!"

Slapstick mit Ringelnatz

Doch so schnell springt Nielsen zu urkomischen Situationen, die ihr mit Freunden und Weggefährten widerfahren sind, dass kaum Zeit für Melancholie bleibt. Der Besuch von Ringelnatz samt Gattin in ihrem berühmten Haus "Karusel" auf Hiddensee hat schon Slapstick-Charakter:

"Ringelnatz sucht noch immer Bernstein, das Einzige, was er aber gefunden hat, ist eine Kneipe, wo man guten Korn bekommen kann und ein Hotel, das besseren Kaffee macht als wir."

Es hätte Asta Nielsen bestimmt gefallen, dass sich in diesen sehr schön gestalteten Band mit Silberschnitt und den wunderbaren Illustrationen Kat Menschiks ein Fehldruck eingeschlichen hat: ein langer Absatz einer ganz anderen Geschichte, die gar nicht gedruckt werden sollte. Der Galiani Verlag hat das Problem pragmatisch und mit Humor gelöst. Auf einer zusätzlich von Kat Menschik gestalteten und ins Buch gelegten Postkarte werden die Leser darauf hingewiesen, dass sie die Erzählung zum Trost auf der Internetseite des Verlags vollständig nachlesen können. Und diese Erzählung übertrifft an absurder Komik sogar noch Ringelnatz‘ Besuch auf Hiddensee.

Irène Bluche, rbbKultur