Roman - Michael Cunningham: "Ein Tag im April"
Kaum ein Tag, an dem es nicht neue Meldungen gibt aus den USA und dem Weißen Haus - Neues von Trump. Was hat er sich jetzt wieder ausgedacht? Man fragt sich dabei vor allem, wann es denn endlich einmal ernsthaften Widerstand in den USA gegen seine Politik geben wird oder warum dieser Widerstand eben ausbleibt. Deshalb sind Bücher von dort derzeit von ganz besonderem Interesse, weil sie vielleicht genau darüber etwas zu sagen haben. Jetzt erscheint mit "Ein Tag im April" ein neuer Roman von Michael Cunningham, der vor mehr als 20 Jahren mit "Die Stunden" ("The Hours") bekannt geworden ist.
Auch Bücher altern. Manche sind sogar schon alt, wenn sie erscheinen. Michael Cunninghams Roman "Ein Tag im April" spielt in drei Kapiteln am 5. April 2019, am 5. April 2020 und am 5. April 2021, also vor, während und nach der Corona-Pandemie. Das ist noch nicht lange her, und doch scheint es so, als erzähle Cunningham aus einer längst vergangenen Welt. So harmlos, so selbstbezüglich, so uninteressant geht es dort zu, als gäbe es auf Erden keine anderen Probleme als die Eheschwierigkeiten der amerikanischen Mittelschicht, die Frage schwul oder nicht schwul, künstlerischen Narzissmus oder Erziehungsfragen.
Die Abgründe des Familiären
Das Personal ist überschaubar. Im Mittelpunkt stehen Dan und Isabela, beide um die 40, seit 20 Jahren ein Paar. Sie arbeitet in einer Zeitschriftenredaktion und ärgert sich dort über den präpotenten Chef, er, der sich einst als Rockmusiker imaginierte, ist zum Hausmann mutiert, der sich um die beiden Kinder kümmert. Die danken es wenig. Der elfjährige Nathan hält den Vater für ein "Arschloch", die sechsjährige Violet hält sich lieber an Robbie, den schwulen Onkel, der vermutlich insgeheim in seinen Schwager Dan verliebt ist. Robbie, der eine Existenz als schlecht bezahlter Grundschullehrer der Laufbahn als Mediziner vorgezogen hat, wohnt im Dachgeschoss, muss aber ausziehen. 2020 hat er sich dann nach Island zurückgezogen, von wo aus er die Blogeinträge der fiktiven Figur "Wolfe" postet.
Dann gibt es noch Dans Bruder Garth, der für seine Freundin Chess nicht viel mehr war als ein Samenspender, nun aber Vaterrechte gegenüber dem Säugling mit dem seltsamen Namen Odin anmeldet. Die einen sind Familie und kommen damit nicht klar, die anderen wollen es nicht sein, und kommen damit auch nicht klar. So oder so dreht sich alles um die Abgründe des Familiären.
Kein Wort über die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft
Corona, so hat der scharfsinnige Michel Houellebecq einmal bemerkt, hat nichts verändert, jedoch bestehende gesellschaftliche Tendenzen verschärft und beschleunigt, vor allem die Digitalisierung und die damit einhergehende Isolation. Cunninghams "Ein Tag im April" erzählt von diesem Prozess, auch wenn der Autor davon nichts weiß. Isolation, Langeweile, das Leiden an der eigenen Bedeutungslosigkeit: all das ist nicht neu und lässt sich von amerikanischem Mittelschichtsroman zu amerikanischem Mittelschichtsroman beliebig oft wiederholen.
Altbacken und abgestanden wirkt das bei Cunningham nicht nur deshalb, weil die wirkliche Zäsur wohl weniger die Corona-Pandemie mit ihrer Verhäuslichung war, sondern die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, die ein paar Jahre danach in die zweite Amtszeit von Donald Trump geführt hat. Darüber bei Cunningham kein Wort. Nichts über die Kriege in der Welt, nichts über amerikanische Politik. Zu erkennen ist stattdessen eine Gesellschaft, die in ihrer Wehleidigkeit wehrlos ist, weil die Menschen keine anderen Sorgen haben als sich selbst.
Ein altbackener und abgestandener Mittelschichtsroman
Cunningham aber interessiert sich geradezu manisch für die psychischen Befindlichkeiten seiner durchschnittlichen Figuren. Er schreibt in einem protokollarischen Präsens als allwissender Erzähler, der Abschnittweise die Perspektive wechselt und von Figur zu Figur springt, alle Gedanken notiert und Dialoge bis ins kleinste Detail wiedergibt. Es ist kann nicht verleugnen, dass er auch Drehbücher schreibt. Das Beste, was ihm passierte, war die grandiose Verfilmung seines Virginia Woolf-Romans "The Hours" mit Nicole Kidman, Meryl Streep und Juliane Moore in den Hauptrollen.
Vielleicht könnte auch "Ein Tag im April" die Vorlage für einen guten Film abgeben. Ein guter Roman ist es deshalb nicht. Dafür ist Cunningham zu geschwätzig, seine Prosa zu hölzern – vor allem dann, wenn er Landschaftsbeschreibungen einflicht – die Figuren zu uninteressant und der Horizont viel zu eng. Es ist der Roman eines Professors für Creative Writing, der seine Hausaufgaben gemacht hat und weiß, wie man einen Plot konstruiert. Herausgekommen ist aber keine kluge Zeitdiagnose, sondern das unfreiwillige Dokument der Schwäche einer Gesellschaft ohne Substanz, die ihr eigenes Verschwinden noch nicht einmal bemerkt. Muss man das lesen? Nein, muss man nicht.
Jörg Magenau, radio3