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Album der Woche | 12. - 18.05.2025 - Antonio Vivaldi: Il Suono Ritrovato

Antonio Vivaldi hat so manches berühmte Werk geschrieben, seine Kompositionen mit obligater Orgel gehören allerdings nur zum Randbereich seines Schaffens. Der Baseler Organist Giulio De Nardo hält sie aber für so interessant, dass er ihnen zusammen mit seinem Ensemble Sestier Armonico ein opulent aufgemachtes Album gewidmet hat – realisiert an historischen venezianischen Orgeln des 18. Jahrhunderts.

Man geht davon aus, dass Vivaldi vor allem durch seine langjährige Arbeit für das Mädchen-Waisenhaus La Pietà in Venedig zu dem nur etwa halben Dutzend Werken mit Orgel inspiriert wurde. "Ich glaube, dass Orgel oder Tasteninstrumente generell nicht die besten Instrumente für Vivaldi waren", sagt Giulio De Nardo. "Aber er hat viele Konzerte für die vielen Instrumente geschrieben, die es im Orchester von La Pietà gab."

Kein Solokonzert

Zu diesen vielen Instrumenten, für die Vivaldi Concerti komponierte, zählte auch die Orgel. Allerdings hat er nicht ein einziges Konzert nur für die "Mutter der Instrumente" geschrieben, sondern Doppelkonzerte zusammen mit Violine und ein Konzert für Oboe, Violine und Orgel. Die Orgel sei dabei aber nicht nur eine untergeordnete Begleiterin der Geige, sagt De Nardo. "Es ist wirklich alla pari, also es sind wirklich zwei richtige Soloinstrumente."

Heimatgefühle

Der junge Organist Giulio De Nardo stammt aus Treviso in Venetien. Musikwissenschaft und Interpretation sollten Hand in Hand gehen, meint er. In seiner Masterarbeit an der renommierten Schola Cantorum Basiliensis hat er untersucht, welche Instrumente Vivaldi in Venedig zur Verfügung hatte. Und daraus entstand das Projekt, dessen Werke mit Orgel auf adäquaten historischen Instrumenten einzuspielen. "Wir haben sie im Veneto aufgenommen. Das sind für mich die Klänge von Venedig und von meinem Heimatort."

Originale Orgeln

Den Einsatz venezianischer Orgeln hält der Musiker für elementar wichtig in diesem Repertoire. Bisherige Aufnahmen von barocken Orgelkonzerten sind von Alte-Musik-Ensembles meist mit sogenannten Truhenorgeln realisiert worden. Doch diese besitzen eine andere Klangcharakteristik als etwa die typischen kleinen venezianischen Orgeln der Vivaldi-Zeit. Deren Register mischen sich besonders gut mit Streichern. "Diese Orgeln mit ihrer sensiblen Traktur ermöglichen es, sehr nahe an die Sprache von Streichinstrumenten zu kommen, was bei Truhenorgeln nicht so einfach ist. Ich finde es schön, die Geigenartikulation zu imitieren," sagt Giulio De Nardo.

Wiederentdeckter Klang

Er hat sein Album daher "Il Suono Ritrovato – Der wiederentdeckte Klang" überschrieben. Eine der beiden Orgeln, die auf dem Album zu hören sind, stammt von dem Instrumentenbauer Giacinto Pescetti, der auch für die Orgeln von La Pietà verantwortlich war. Da die Kirchenempore, auf der sie heute steht, aber zu wenig Platz für ein Kammerorchester bietet, zog De Nardo für die Aufnahmen ein weiteres, von einem anonymen Bauer stammendes Instrument heran.

Experimente

Im Mittelpunkt des Albums steht das historische Instrumentarium. Doch Giulio De Nardo hat bei der Realisation der Stücke auch einige aufführungspraktische Experimente gewagt. Insbesondere hat er die Orgel an den Stellen, an denen sie keine Soloaufgaben hat, eine aktivere Rolle spielen lassen – sie teilt sich dann teilweise nicht nur die Aufgabe mit der Basso Continuo-Gruppe, sondern doppelt die Linie der Solo-Geige oder die Themeneinsätze.

Überzeugende Darbietung

Zusammen mit den 16 weiteren Mitgliedern von Sestier Armonico arbeitet Giulio De Nardo so feinfühlig wie zupackend die Nuancen von Vivaldis Kompositionen heraus – insbesondere im Wechselspiel mit dem Sologeiger Claudio Rado. Fünf Konzerte werden auf dem Album mit der Alt-Arie aus dem Oratorium "Juditha Triumphans" ergänzt, für die Vivaldi ebenfalls eine Orgelbegleitung vorsah. Und besonders stark tritt die Orgel dann noch in der Sonate für Violine, Oboe, Orgel und den Klarinetten-Vorläufer Chalumeau hervor – anders als in den Konzerten hat Vivaldi hier sogar Kadenzen für Orgel solo vorgesehen.

Opulente Aufmachung

Das zweite Album des 2021 gegründeten Sestier Armonico – in den Namen ist die Bezeichnung für die fünf Stadtteile im historischen Zentrum Venedigs eingebaut – erscheint bei InAures. Es handelt sich um ein neues Label, das Giulio De Nardo zusammen mit einer Cembalo-Kollegin gegründet hat, da er bei Produktion und Verpackung des Albums keine Kompromisse eingehen wollte. Ein dickes Beiheft mit vielen Fotos und informativen Essays bezeugen eindrucksvoll seinen Willen zur Perfektion.

Rainer Baumgärtner, radio3

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