Danziger Orgellandschaft: Konzerte von Thomas Augustine Arne © MDG
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Album der Woche | 17.06. - 23.06.2024 - Goldberg Baroque Ensemble: Orgelkonzerte von Thomas Augustine Arne

Der umtriebige Danziger Organist Andrzej Szadejko schlägt auf dem jüngsten Album seines Goldberg Baroque Ensemble zwei Fliegen mit einer Klappe: Er porträtiert eine neue, nach spätbarocken Vorbildern erbaute Orgel und er stellt die selten zu hörenden Orgelkonzerte des Londoner Händel-Konkurrenten Thomas Augustine Arne vor. Unter beiden Gesichtspunkten überzeugt das klangliche Ergebnis.

Im Berufsleben von Andrzej Szadejko dreht sich alles um die "Königin der Instrumente". Er spielt Orgel, unterrichtet das Instrument und komponiert teilweise für es, außerdem wirkt er als Orgelsachverständiger und initiiert Orgelbau-Projekte, deren Umsetzung er dann betreut.

Kriegsverluste

Danzig war bis kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine reiche Orgelstadt. Dann wurde sie von der russischen Armee bombardiert und dabei wurden auch die vielen Orgeln zerstört. Eine Gruppe von Enthusiasten hatte zuvor aber wenigstens die Prospekte von etwa zehn Instrumenten abgebaut und die künstlerisch gestalteten Gehäuse gesichert sowie die Abmessungen der Instrumente dokumentiert.

Rekonstruktionen

In den vergangenen Jahren wurden in Danzig zwei dieser Prospekte restauriert, um sie als Grundstock für die Rekonstruktion von Instrumenten zu verwenden - eine Orgel nach Merten Friese in der Trinitatiskirche und eine nach Johann Friedrich Rhode in St. Johannes. Für beide Projekte hatte Szadejko die Vorarbeiten geleistet.

Zukunftsweisend

Das 1761 vollendete Instrument des einheimischen Orgelbauers Rhode galt in seiner Zeit als sehr fortschrittlich und beispielgebend. Der berühmte Orgelkundler Jakob Adlung hörte es kurz vor seinem Tod und lobte es in seiner Schrift "Musica mechanischa organoedi", in die er eine genaue Beschreibung von ihm einfügte. Der Analyse von Andrzej Szadejko zufolge war sein Klangspektrum bis in die frühromantische Musik aus dem 19. Jahrhundert bestens geeignet.

Herzensprojekt

Ursprünglich wollte Szadejko den in einer Kooperation einer belgischen mit einer polnischen Orgelbaufirma realisierten Rhode-Nachbau klanglich auf einer Solo-CD dokumentieren. Dann erinnerte er sich an eine alte Idee:

"Schon seit meiner Studienzeit in Basel wollte ich irgendwann die Concerti von Thomas Augustine Arne aufnehmen. Und das war nun gerade eine gute Gelegenheit dafür, weil dieses Instrument dem Stil der Arne-Konzerte sehr, sehr gut entspricht.“

Zumal es sich um eine Chororgel handelt, die von vornherein für den Zusammenklang mit Sängern und Instrumentalisten vorgesehen war.

Rarität

Thomas Augustine Arne ist durch die Melodie zum patriotischen Lied "Rule Britannia!" berühmt geworden, einer heimlichen Nationalhymne Englands. Ansonsten wird heutzutage kaum etwas von ihm gespielt und auch seine erst posthum veröffentlichten sechs Orgelkonzerte sind höchst selten zu hören. Andrzej Szadejko kann dies nicht verstehen:

"Auch meine Leute im Orchester haben sich gewundert, warum diese Musik überhaupt nicht bekannt ist. Es sind sehr gute Konzerte, in denen man sehr viel zeigen kann an Virtuosität und Musikalität.“

Auch meine Leute im Orchester haben sich gewundert, warum diese Musik überhaupt nicht bekannt ist. Es sind sehr gute Konzerte, in denen man sehr viel zeigen kann an Virtuosität und Musikalität.

Stilmix

Im Bereich der frühen Orgelkonzerte dominieren die Werke Georg Friedrich Händels. Die Concerti seines 25 Jahre jüngeren Konkurrenten Arne sind stilistisch heterogener und weisen teilweise deutlich über den Barock hinaus in den empfindsamen Stil.

"Das ist eine sehr interessante Mischung von verschiedenen alten und modernen Stilen, die Mitte des 18. Jahrhunderts in Europa zu finden sind, und zwar aus verschiedenen Regionen – französisch, italienisch, deutsch und auch englisch selbst,“ sagt Szadejko dazu.

Registerreichtum

Dem Solisten war es ein besonderes Anliegen, die nachgebaute 30-stimmige Rhode-Orgel in all ihren Facetten hörbar zu machen. Daher hat Szadejko die Arne-Konzerte mit vielen verschiedenen Registrierungen eingespielt. Dabei hat er sich auch ein paar Freiheiten jenseits dessen herausgenommen, was im 18. Jahrhundert wohl üblich war. Wenn er innerhalb eines Satzes etwa eine klangliche Register-Hierarchie aufbaut. Er tut dies trotz der "romantischen" Möglichkeiten des Instruments aber nie in einer Weise, die den Gesamteindruck anachronistisch erscheinen ließe.

Spielfreude

Er und sein barockes Kammerorchester führen die Konzerte mit großer Spielfreude auf. Dem Aufnahmeteam ist es dabei gelungen, die Orgel und das Orchester fein auszubalancieren. Dennoch ist immer klar, dass das Soloinstrument im Mittelpunkt steht. Dieses zeigt sich hier nicht als Trägerin strenger Kontrapunktik und liturgischer Fesseln, sondern als Vehikel teilweise überschäumender säkularer Unterhaltungsmusik.

Rainer Baumgärtner, radio3