Unbekannter Bildhauer: Bildnis eines Afrikaners, 17. oder 1. Hälfte 18. Jh., farbiger Naturstein © SPSG
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Die Debatte mit Ann Kristin Schenten, Joshua Kwesi Aikins, Christoph Martin Vogtherr und Guy Armel Fogang Toyem - Preußen neu sehen - das koloniale Erbe der Schlösser und Gärten

"Versklavung und Kolonialismus waren Verbrechen gegen die Menschlichkeit." Joshua Kwesi Aikins

Im Jahr 2023 spielt Preußen für die meisten von uns kaum noch eine Rolle. Die alten Schlösser und Gärten sind mehr Ausflugsziele als Orte kritischer Auseinandersetzung mit der Geschichte. Doch die koloniale Vergangenheit ist auch an Orten wie dem Schlosspark Sanssouci omnipräsent. Die Ausbeutung Schwarzer Kulturen und Menschen ist bis heute sichtbar. In den Denkmälern, in den Gemälden, in den Gärten.

Nun wird diese koloniale Vergangenheit öffentlich aufgearbeitet. Die Ausstellung "Schlösser, Preussen, Kolonial - Biografien und Sammlungen im Fokus" der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten zeigt ab Juli die Schlossanlagen und Denkmäler in ihrem kolonialen Kontext im Schloss Charlottenburg.

Können wir Preußen aus einer postkolonialen Perspektive verstehen lernen? Wo stößt die koloniale Aufarbeitung an Grenzen und wie kann sie nachhaltig gelingen? Darüber diskutieren Christoph Martin Vogtherr, Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Guy Armel Fogang Toyem, Doktorand für Deutsche Kolonialgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin und Joshua Kwesi Aikins, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Entwicklungspolitik und postkoloniale Studien der Uni Kassel und Aktivist bei "Berlin Postkolonial".

Es gibt Denkmäler, die entfernt oder zumindest verhüllt werden sollten. Und zwar dann, wenn dort Rassismen auf eine hoch problematische Weise reproduziert werden. Diese Spuren sind in eine Zeit eingeschrieben, die wir als vollkommen getrennt von europäischer Geschichte ansehen. Das war die Zeit des Absolutismus, die höfische Zeit. Wenn wir diese Spuren nicht wahrnehmen, können wir diese Zeit nicht verstehen. Wir müssen sie dann aber auch kontextualisieren.

Joshua Kwesi Aikins

Es ist das Ziel der Ausstellung, unseren Blick und unser Wissen zu ändern. Als Denkmalpflegeeinrichtung gehen wir davon aus, dass Spuren sichtbar bleiben sollen, wir wollen sie aber kommentieren. Das haben wir auch am “Ersten Rondell” im Schlosspark Sanssouci gemacht. Es gibt dort eine Informationstafel, die zum einen die Geschichte des Rondells erläutert und dann aber auch darstellt, warum es umbenannt worden ist und wer an dem Prozess beteiligt war. Wir wollen aber das Rondell nicht abräumen, das sage ich ganz dezidiert. Wir wollen diese Spuren erhalten, egal ob wir sie mögen oder nicht, und sie an die nächste Generation weitergeben. Wir machen möglichst klar, was dort passiert ist und was auch die unausgesprochenen Bilder sind, die in solchen Inszenierungen stecken.

Christoph Martin Vogtherr

Im Kolonialismus ging es um Ausbeutung, Auswanderung, Ausplünderungen, Genozid und Gewalt. Ich verstehe Kolonialismus als Prozess, das heißt, wir müssen uns auch mit den heutigen Auswirkungen von Kolonialismus in der deutschen Gesellschaft beschäftigen. Es geht um eine komplexe Interaktion zwischen Kolonialisierenden und Kolonisierten.

Fogang Toyem
Joshua Kwesi Aikins (© Tanja Castellví), Christoph Martin Vogtherr (© SPSG/Annette Koroll) und Guy Armel Fogang Toyem (© privat)
Joshua Kwesi Aikins, Christoph Martin Vogtherr und Guy Armel Fogang ToyemBild: Tanja Castellví | SPSG/Annette Koroll | privat

Gäste

Joshua Kwesi Aikins ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Entwicklungspolitik und postkoloniale Studien der Universität Kassel. Er hat Politikwissenschaft an der FU Berlin und der University of Ghana studiert. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Zusammenwirken westlicher und indigener politischer Systeme in Ghana, Entwicklungspolitik aus dekolonialer Perspektive, kulturelle und politische Repräsentation der afrikanischen Diaspora, Kolonialität und Erinnerungspolitik in Deutschland sowie kritische Weißseinsforschung. Er arbeitet darüber hinaus als Trainer und Vortragender im Bereich der politischen Bildung mit einem Fokus auf die umkämpfte De/Kolonialität des öffentlichen Raums, menschenrechtsbasierter Antirassismusarbeit und Empowerment.

Christoph Martin Vogtherr, Jahrgang 1965, studierte Kunstgeschichte, Mittelalterliche Geschichte und Klassische Archäologie in Berlin, Heidelberg und in Cambridge. 1996 wurde er an der Freien Universität Berlin mit einer Arbeit zur Gründung der Berliner Museen 1797–1835 promoviert. Bis 2018 war er Direktor der Hamburger Kunsthalle und initiierte 2017 die partizipative Ausstellung „Open Access“ und 2018 die Schau „Thomas Gainsborough. Die moderne Landschaft“. Am 1. November 2018 berief ihn der Stiftungsrat der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg als Nachfolger von Hartmut Dorgerloh zum Generaldirektor. Am 7. Februar 2019 trat Vogtherr das Amt an. Nach Lehraufträgen in Berlin, an der University of Buckingham und in Hamburg, lehrt er seit 2019 an der Technischen Universität Berlin.

Guy Armel Fogang Toyem, kommt aus Kamerun und hat Germanistik an der Universität Yaoundé I studiert. 2017 hat er sein Masterstudium in Deutscher Gesellschaftspolitischer Geschichte absolviert. Mit einem DAAD-Stipendium promoviert er seit April 2021 an der Humboldt-Universität zu Berlin in Deutscher Kolonialgeschichte mit Schwerpunkt auf die Kolonisierung Kameruns/Togo. Er beschäftigt sich mit vergleichender Geschichtswissenschaft, Medienwissenschaft und Politikwissenschaft, Entwicklungszusammenarbeit, Kultur und Erziehung.

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Der zweite Gedanke; © radio3
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Debatte mit Natascha Freundel & Gästen - Der Zweite Gedanke

Hier wird nicht nur debattiert, hier wird auch zusammen nachgedacht. Über alles, was unser Miteinander betrifft. Bildung, Digitalisierung, Demokratie, Einsamkeit, Freiheit, Klima, Kultur, Städtebau, Visionen - die Themen liegen in der Luft, nicht erst, aber besonders deutlich seit der Corona-Pandemie. Jede Folge widmet sich einer Frage unserer Zeit. radio3-Redakteurin Natascha Freundel spricht jeweils mit zwei Gästen, die wissen, wovon sie reden. Philosophisch, aber nie abgehoben. Persönlich, aber nicht privat. Kritisch und konstruktiv. Hier soll es nicht knallen, sondern knistern. Immer auf der Suche nach dem zweiten, neuen Gedanken.