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Die Debatte mit Natascha Freundel, Rikola-Gunnar Lüttgenau, Peter R. Neumann und Christiane Schulz - Extrem rechts – extrem gefährlich

"Rechtsextreme muss man von ihren Unterstützern unterscheiden." (Peter R. Neumann)

Kinder, die den Hitlergruß zeigen – nicht nur an einer Schule im Brandenburgischen Burg; Hakenkreuz- und Neonazi-Schmiereien – nicht nur an der Gedenkstätte Buchenwald. Wachsende Umfragewerte für die AfD, vor allem im Osten der Republik. Rechtsextremismus wird salonfähig, das zeigt auch die neue "Mitte-Studie" der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dass Rechtsextreme von Krisen profitieren und Ängste systematisch verstärken, zeigt der Politikwissenschafter Peter R. Neumann in seinem Buch "Logik der Angst". Gegen diese Logik arbeitet die evangelische Pfarrerin Christiane Schulz aus Neuruppin tagtäglich an. Sie plädiert für Spaß an direkten Streitgesprächen und Vertrauen in die Pluralität der Menschen. Der Historiker und Gedenkstättenkurator Rikola Gunnar-Lüttgenau wirbt für ein kritisches Geschichtsbewusstsein und mehr politische Bildung. Rechtsextremismus ist gerade heute extrem gefährlich; doch es gibt Mittel und Wege, ihn einzuhegen.

Wir brauchen zunehmend Orte, wo Menschen sich unterschiedlicher Kulturen - und jetzt meine ich nicht nur Kulturen im Sinne von Zugewanderten und Einheimischen, sondern auch unsere "innerdeutschen Kulturen" zwischen Akademikerinnen und und Handwerkern - wo sich wieder begegnet wird. Am besten wären wahrscheinlich neben der Kirchengemeinde, die etwas schwierig ist, weil es eine Distanz gibt gegenüber großen Institutionen, auf jedem Dorf eine gute Eckkneipe.

Christiane Schulz

Es geht nicht nur um Wissen, sondern es geht um die Bildung eines kritischen Geschichtsbewusstseins: mit den eigenen Fragen auf die Geschichte zu schauen und klüger aus dieser Form der Auseinandersetzung herauszukommen. Wir glauben, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit macht klüger. Man geht da nicht in Sack und Asche, sondern sie befreit sozusagen. Und sie lässt einen besser in die Zukunft gehen. Die AfD und Rechtsextreme sagen: Nein, diese Auseinandersetzung muss man verdrängen, diese Auseinandersetzung muss man unterdrücken, weil sie uns kleiner macht. Diese grundsätzliche Unterscheidung treibt uns zurzeit sehr stark um.

Rikola-Gunnar Lüttgenau

Rechtsextremismus gedeiht immer dann, wenn Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung besonders groß sind. Das ist der Nährboden für rechtsextremistische Botschaften. Die Angst in der Bevölkerung ist groß. Und dann kommen Rechtsextremisten und artikulieren das, amplifizieren das und lenken das in ein politisches Projekt. Und finden Schuldige für die Probleme und für die Unzufriedenheit: Die liberalen 'Eliten' und 'die Fremden'. Wenn man sich die Geschichte des Rechtsextremismus anschaut, sind das immer die zwei Kategorien von Schuldigen, die identifiziert werden. Und es gibt einfache Lösungen. Man suggeriert, man könnte einen Zustand wiederherstellen, etwa die 80er, 90er Jahre, wo es keine Migration gab, wo es keine politische Korrektheit gab, wo alle angeblich glücklich waren. Das ist eine attraktive Lösung für viele Leute, die sich sehr verunsichert fühlen. Aber das ist natürlich eine totale Illusion.

Peter R. Neumann
Peter R. Neumann (© Laurence Chaperon), Christiane Schulz (© privat) und Rikola-Gunnar Lüttgenau (Hanna Witte)
Peter R. Neumann, Christiane Schulz und Rikola-Gunnar Lüttgenau |Bild: Laurence Chaperon | privat | Hanna Witte

Gäste

Peter R. Neumann, geboren 1974 in Würzburg, ist Professor für Sicherheitsstudien am King's College London und Fellow am Centre for the Changing Character of War (CCW) der Universität Oxford. Zwischen 2008 und 2018 leitete er am King's College das weltweit renommierte International Centre for the Studies of Radicalisation (ICSR). Neumann studierte Politologie in Berlin und Belfast. 2017 war er Sonderbeauftragter der OSZE. Derzeit berät er u.a. die Europäische Kommission zum Thema Extremismus. 2021 berief ihn der damalige CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet in sein "Zukunftsteam". Neumann hat mehrere Bücher zu islamistischem Extremismus veröffentlicht. Sein neues Buch analysiert die "Logik der Angst. Die rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln" (2023, beide Rowohlt Berlin).

Christiane Schulz, geboren 1961 in Frankfurt/O., leitet als Kreisdiakoniepfarrerin des Kirchenkreises Wittstock-Ruppin den gemeindediakonischen Verein ESTAruppin e.V., koordiniert die Arbeitsstelle für ev. Erwachsenenbildung im Landkreis Ostprignitz-Ruppin und ist mobile Beraterin und Mitarbeiterin für Migrations- und Integrationsarbeit der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) für Westbrandenburg. Viele Jahre war sie Mitglied im Beirat der Flüchtlingskirche Berlin. Sie studierte Theologie in Berlin, Tübingen und Prag. Sie war elf Jahre lang Gemeindepfarrerin im Dorf Protzen, Gemeinde Fehrbellin, und unterrichtete Religion an verschiedenen Schulen der Region. Als Mitglied des Bündnisses "Neuruppin bleibt bunt" engagiert sie sich seit vielen Jahren gegen Rechtsextremismus.

Rikola-Gunnar Lüttgenau, geboren 1966 in Hagen i.W., leitet die Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. 1993 kam er als wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Gedenkstätte Buchenwald. Zuvor studierte er Geschichts- und Medienwissenschaften in Bochum, Hamburg und Düsseldorf. Er kuratierte u.a. die ständigen Ausstellungen der Gedenkstätte Buchenwald sowie internationale Wanderausstellungen über die Ofenbau-Firma "Topf & Söhne", über Zwangsarbeit sowie Zeugnisse des GULag. Als wissenschaftlicher Berater ist er deutschlandweit an Ausstellungs-Projekten beteiligt. 2000 war er Mitbegründer des "Bürgerbündnisses gegen Rechtsextremismus", das bis heute besteht.