"Holly" Gastrobar © Thomas Platt
Bild: Thomas Platt

Produktorientierte Küche in Berlin-Neukölln - "Holly" Gastrobar

Wie immer mehr Lokale wird auch das "Holly" in Berlin-Neukölln bloß von ein paar Leuten betrieben. Die wollen zusammen arbeiten wie Freunde, dabei keinen großen Apparat unterhalten, mit den entsprechenden Kosten und dem ganzen Papierkram hinten dran. Stattdessen konzentrieren sie sich aufs Wichtigste: gutes Essen und gutes Gastgeben. Die Reihenfolge dürfte dabei unerheblich sein.

Im Bistro am Ufer einer gepflasterten Neuköllner Seitenstraße sorgen die beiden Inhaber, die Wein- und Bier-Sommelière Fernanda Befi Lacordia aus Brasilien als Gastgeberin und der französische Koch Simon Guitard mit betont individuell konzipierten mediterranen Speisen und viel Fröhlichkeit für das anhaltende Wohl ihrer Gäste.

"Holly" Gastrobar © Thomas Platt
Bild: Thomas Platt

Impulse aus dem Fermentationslabor

Es gibt ein "4 Courses Tasting Menu" (59 Euro), bei dem die Vor- und Zwischenspeisen interessanter erscheinen als der Hauptgang. Bei den "Happen & und Vorspeisen" (zwischen 6 und 21 Euro) lernt man die Originalität der Küche besser kennen, zumal man mehr Details begegnet, die wie nahezu alles hier im Hause erzeugt werden. Insbesondere das Fermentationslabor steuert immer wieder Impulse bei, die ihre Wirkung nicht allein dem Sauertopf verdanken.

Vom hausgemachten Kartoffelbrot mit luftig gequirlter brauner Butter über die Kaltschale mit Roter Bete und karamellisiertem Miso bis zum Dessert, einem Himbeersorbet mit gerösteter, mit Hilfe des Koji-Pilzes transformierter Gerste enthalten nahezu alle Gerichte fermentierte Elemente. Zum Beispiel beim zu fein strukturierten, darum ein wenig klebrigen Rinder-Tartar (für dieses Ergebnis muss man es eigentlich nicht mit dem Messer zerkleinern, da kann man gleich den Fleischwolf nehmen) handelt es sich bei der Kartoffelmayonnaise und dem gepökelten Eigelb um einen wenig aufregenden Effekt.

Mehr ins Gewicht fällt die Miso-Crème zur gegrillten Aubergine, die mit einer weißen Schlange aus Labneh-Frischkäse bedeckt ist.

"Holly" Gastrobar © Thomas Platt
Bild: Thomas Platt

Aufregendes Umami-Karamell

Prägend dagegen ist das Umami-Karamell im Gazpacho und richtig aufregend – ja, beinahe so, als ob sich eine Sprungfeder gelöst hätte – wird es in Gestalt fermentierter Erdbeeren im Pfirsich-Chili-Sorbet sowie als geröstetes Miso zum im Ofen gebackenen (zum Glück nicht panierten) französischen Camembert mit fleischigem Beten-Chutney. Trotzdem bildet sich insbesondere bei stärker von Milchsäure geprägten Komponenten so etwas wie ein Antipasti- oder Salateindruck, der einem allmählich über das ganze Angebot gebreitet vorkommt und es ein bißchen kleiner erscheinen lässt, als es tatsächlich ist.

Einseitiges Geschmacksbild trotz hohem Aufwand

Das, was sich Simon Guitard in seiner zurückgezogenen Art in der Küche erschafft, kann trotz hohem Aufwand lediglich auf das Geschmacksbild von Sauerkraut hinauslaufen. Sein gerösteter, teilweise mikrobiell vorverdauter Rettich mit Kohlrabi führt das exemplarisch vor – und zwar trotz Hollandaise, Rucolaöl, gepufftem Quinoa und Pastinakenpüree. Doch seine Lebensgefährtin Fernanda schafft es mit ungeheurer Freundlichkeit und großem intellektuellem Interesse, dass man von einem Abend im "Holly" nur die positiven Momente in Erinnerung behält.

Thomas Platt, rbbKultur

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