T.C. Boyle: I walk between the Raindrops. Stories © Hanser Verlag
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Storys - T.C. Boyle: "I walk between the Raindrops"

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T.C. Boyle lässt seine Fans nie lange warten: Jedes Jahr erscheint ein neues Buch des US-amerikanischen Literaturstars. "I walk between the Raindrops" versammelt neueste Kurzgeschichten. Ein harmloser Spaziergang wird darin zur Konfrontation mit Verwüstung und Zerstörung. Ein Ehepaar wird auf einem Kreuzfahrtschiff von der Corona-Pandemie überrascht. Die Stories von T.C. Boyle sind tief verwurzelt in den Krisen unserer Gegenwart.

Harmlose Regentropfen verwandeln sich in der titelgebenden Geschichte "I walk between the Raindrops" in den kalifornischen Bergen in Sturzbäche und lösen eine Schlammlawine aus. Auf dem Weg hinab zum Strand reißt sie alles mit, was ihr in den Weg kommt: Häuser, Autos, Bäume, Menschen und sogar einen Bären.

"Erschlagen, ersäuft, aus den Bergen ins Meer gespült von einer Sturzflut, die er nicht hatte kommen sehen. Ich wusste, dass meine Frau auf mich wartete, ein Kaminfeuer und eine warme Decke, sollte ich eine brauchen, aber ich konnte micht nicht von der Stelle rühren. Was ist so falsch an diesem Anblick?, dachte ich, und dann sagte ich es laut, und schließlich kam eine Welle und machte meine Schuhe nass (...)."

Brandon, der Erzähler dieser Geschichte, dessen Haus von Sturm und Schlamm verschont geblieben ist, war kurz zuvor auf seiner Gassirunde mit dem Hund noch umgekehrt, auch in Sorge um seine Schuhe, die er sich nicht ruinieren wollte, nur um seine "Schaulust zu befriedigen".

Nun werden die Schuhe also doch nass und der Schrecken lässt sich nicht länger auf Distanz halten. Auf seiner Homepage schreibt T.C. Boyle, dass Gerölllawinen und Erdrutsche infolge eines Sturms mit gewaltigem Niederschlag in der Nähe seines Wohnorts ihn zu dieser Geschichte inspirierten. Die Naturkatastrophe riss damals viele seiner Nachbarn in den Tod. Auch sein letzter Roman "Blue Skies", der vom Leben mit den Folgen des Klimawandels erzählt, war von diesen Ereignissen inspiriert. Die dreizehn Stories in diesem Band sind vor und nach "Blue Skies" entstanden, mit dem er 2021 begann und Anfang 2022 fertig wurde.

T.C. Boyle hält uns den Spiegel vor

T.C. Boyle hinterfragt in der Titel-Story unseren Umgang mit Katastrophen und Misständen, mit Hinschauen und Wegsehen. Er porträtiert ein durchschnittliches Mittelstands-Ehepaar, das sein schlechtes Gewissen durch kleine Wohltaten im Ehrenamt und ungefragte Verkuppelungsversuche im Freundeskreis beruhigt. Es sucht einerseits am Valentinstag den kleinen Nervenkitzel in einer billigen Absteige: "Hin und wieder wacht man davon auf, dass vor einem der anderen Zimmer jemandem Handschellen angelegt werden - etwas, das man in Kalifornien nicht alle Tage zu sehen bekommt."

Andererseits soll das Elend bitte auf Abstand bleiben. Bis etwas passiert, wo das nicht mehr funktioniert.

T.C. Boyle hält uns in seinen Kurzgeschichten den Spiegel vor und greift die aktuellen Krisen und Themen unserer Gegenwart auf. "Der dreizehnte Tag" führt auf ein Kreuzfahrtschiff, auf dem 2020 das Covid-19-Virus ausbricht. Das Schiff bleibt im Hafen, die Passagiere müssen in Quarantänge und stecken fest. In "What's Love got to do with it" lernt eine Frau um die 50 auf einer langen Zugfahrt einen jungen Mann kennen, der sich als Amokläufer-Versteher entpuppt. Außerdem geht es in den Kurzgeschichten um das Leben mit selbstfahrenden Autos, um #MeToo und immer wieder um das gestörte Verhältnis von Mensch und Natur.

"Dies sind die Umstände" führt dies auf besonders tragikomische Weise vor Augen. Für viel Geld geht es in den Wald zum "Naturbaden", um der Künstlichkeit des Alltags zwischen Smartphone und Büro zu entkommen. Als aber die Natur im eigenen Garten in Form einer Klapperschlange zuschlägt, ist das doch ein bisschen zu viel der Wildnis-Erfahrung.

Schreiben als Droge

T.C. Boyle ist ein echter Vielschreiber. "I walk between the Raindrops" ist nach eigenen Auskünften sein 31. Buch. Trotzdem hat man als Leserin nie das Gefühl, die Kurzgeschichten seien nur ein Abfallprodukt seiner Romanarbeit. Der gebürtige New Yorker und Wahlkalifornier ist ein Schreib-Junkie. In Interviews erzählt er gerne, wie die Literatur ihn als jungen Mann vor einer Drogenkarriere bewahrte und das Schreiben stattdessen zu seiner Sucht wurde. Er versuche stets sich die Gegenwart durchs Schreiben zu erschließen und zu verstehen. Als Leserin hat man das Gefühl, dies beim Lesen mit ihm zu tun.

Unterhaltsam auf angenehm aufstörende Weise

Seine Kurzgeschichten sind keine experimentellen Sprachwunder, dafür klug und solide komponiert, unterhaltsam und mit feinem Witz durchzogen. Er legt menschliche Verhaltensweisen auf gewohnt gekonnte Weise auf den Seziertisch. Dabei wird man zwar unterhalten, aber nicht zerstreut oder abgelenkt, sondern eher angenehm aufgestört.

Nadine Kreuzahler, radio3