André Kubiczek: Nostalgia © Rowohlt
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Roman - André Kubiczek: "Nostalgia"

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In Romanen wie "Skizze eines Sommers" und "Straße der Jugend" hat André Kubiczek leicht und humorvoll vom Aufwachsen in der DDR geschrieben. Jetzt erzählt er sehr persönlich von der eigenen Jugend in Potsdam, die geprägt ist von Krankheit, Tod und Trauer.

"Ist das Nostalgia?", fragt die Mutter den Vater. "Dauernd zu sagen: Weißt du noch damals?" "Im Deutschen heißt das Wort Nostalgie", verbessert dieser seine Frau.

"Ist das Nostalgie?'", wiederholt sie die Frage mit der richtigen deutschen Vokabel, aber so, wie sie das Wort zuerst gesagt hat, gefiel es ihr besser. Es klang weicher, fast süß. Und es hatte eine Silbe mehr.

Weich und süß sind die Erinnerungen an die gemeinsame Vergangenheit, die das Paar schließlich in dieser Szene im Jahr 1975 teilt, um sich dadurch ihrer Nähe zu versichern. Sie ist Laotin und aus Liebe zu ihm, einem Arbeitersohn aus dem Harz, 1968 in die DDR eingewandert. Es sind die Eltern von André Kubiczek. Der Roman erzählt auch ihre Geschichte und vermeidet dabei die Nostalgie. Auch wenn er bittersüß wieder eine Jugend in der DDR in den Blick nimmt.

Jugend im Ausnahmezustand

In Potsdam Waldstadt II wächst André auf, ein Neubaugebiet im Südosten der Stadt. An Weihnachten 1981 begleitet man den 12-jährigen als Leserin auf einer langen Straßenbahnfahrt zum Bahnhof, wo er die Großeltern abholen soll. Die Kapitel sind nach Straßen und Orten benannt, es geht vorbei am Restaurant Minsk (wo heute ein Museum untergebracht ist), am Leipziger Dreieck und Platz der Einheit, an der Schwimmhalle, in der André als Kind fast ertrunken wäre. Danach sind die Kapitel mit Datum überschrieben. Es läuft alles auf den 31. Dezember 1981 hinaus. André und seine Großeltern ergattern nach langem Anstehen Silvesterfeuerwerk. Die Mutter kommt ins Krankenhaus. Der Ausnahmezustand bricht aus in der Familie. Diagnose Krebs, unheilbar.

Seine Pubertät ist geprägt von der Krankheit und dem langsamen Verschwinden der Mutter, die schließlich nur noch im Dunkeln auf dem Sofa liegen kann. Zu seinem Alltag gehört auch der ein Jahr jüngere Bruder Aleng, der eine geistige Behinderung hat.

Traurig und flirrend leicht zugleich

Kubiczeks bisherige Coming-of-Age-Romane waren in einem leichten, auch witzigen Ton geschrieben. "Nostalgia" ist zwar über weite Strecken ein trauriges und berührendes Buch, aber trotz allem gibt es auch hier einiges zu schmunzeln. Die luftige flirrende Schwingung seiner vorherigen Romane findet sich auch hier. Das liegt vor allem daran, dass die Geschichte fast konsequent nur aus der Sicht des Kindes und Jugendlichen erzählt wird. Was gleichzeitig einen schonungslosen und unverstellten Blick auf Leid, Schmerz und Krankheit ermöglicht und auch Raum für Absurdes öffnet.

"Bringst Du das bitte in den Mülleimer", hat Frau Gottschalk gesagt und ihm das Päckchen mit dem benutzten Beutel in die Hand gedrückt. Vorsichtig wie eine entsicherte Handgranate hat er das Päckchen in die Küche getragen. "Keine Angst", hat Frau Gottschalk ihm hinterhergerufen, "da läuft nichts aus. Die Beutel sind aus dem Westen und haben ein Ventil."

André Kubiczek literarisiert das alles nicht als Ich-Erzähler, sondern schreibt in der dritten Person, vielleicht, um so die nötige Distanz zu bekommen, denn es muss nicht leicht gewesen sein dieses Buch zu schreiben.

Verlust, Tod und Trauer prägen seine Jugendjahre aber genauso wie typische Teenie-Erlebnisse: erste Verliebtheit, Musik, Kassetten-Mixtapes, mitgeschnitten im West-Radio, der Schulalltag zwischen Freundschaften und sozialistischem Drill durch die linientreue Klassenlehrerin. Zur Realität gehört aber auch Alltagsrassismus, den er und seine Mutter in Potsdam erleben. Sie werden als Andersaussehende angestarrt, André in der Schule gehänselt. All das erzählt André Kubiczek unaufgeregt beiläufig.

Plötzlich erzählt die Mutter

Überraschend schwenkt die Erzählperspektive plötzlich um auf die Mutter und man springt mit ihr auch in die Jahre vor Andrés und Alengs Geburt. Das ist zwar inkonsequent, aber tut der Geschichte gut, denn sie gewinnt dadurch an Perspektive und weitet den Blick. Die Einsamkeit der Mutter in der Fremde spielt eine Rolle, die als Tochter eines in Laos ermordeten Politikers aus besseren Verhältnissen stammt und nach ihrer Auswanderung in die DDR von der Familie verstoßen wird. Zwar kommt es später zur Versöhnung, aber die Einsamkeit bleibt. Und auch ihr Mann macht der Liebe wegen Abstriche. Wegen seiner Verbindung zu einer Laotin bleibt ihm der diplomatische Dienst verwehrt. Die beiden führen ein angenehmes Leben im Staatsdienst mit Privilegien. Trotzdem werden sie von der Stasi abgehört.

"Nostalgia" trifft den richtigen Ton

"Nostalgia" ist zugleich ein frischer Blick auf das Leben in der DDR in den 70er und 80er Jahren. Ein Porträt des Waldstadt-Viertels in Potsdam. Und eine zu Herzen gehende Erzählung vom Aufwachsen und Überleben nach dem Verlust eines Elternteils.

André Kubiczek scheint sich seine Jugend von der Seele geschrieben zu haben. Er webt sie in wunderbar dichte Szenen und Sätze. Dieser Roman trifft genau den richtigen Ton zwischen Trauer, Erwachsenwerden, Humor und Liebe ohne nostalgisch zu werden.

Nadine Kreuzahler, radio3

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