Jeremy Eichler: Das Echo der Zeit © Klett-Cotta
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Die Musik und das Leben im Zeitalter der Weltkriege - Jeremy Eichler: "Das Echo der Zeit"

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Das 20. Jahrhundert war auch das der beiden Weltkriege. Und einige der bedeutendsten Komponisten haben die Katastrophen dieser Zeit in ihren Werken widergespiegelt. Der Kulturhistoriker Jeremy Eichler hat in seinem neuen Buch "Das Echo der Zeit. Die Musik und das Leben im Zeitalter der Weltkriege" vier exemplarische Beispiele beleuchtet und vertieft.

Die Zeit, vor allem der Zweite Weltkrieg, ist historisch sehr gut dokumentiert, hat aber auch Widerhall gefunden in etlichen, teilweise bedeutenden Musikwerken. Dies nimmt Jeremy Eichler in den Fokus und stellt die Frage, ob gerade diese besonders dazu prädestiniert sein könnten, die Erinnerung daran auf eigene Weise wachzuhalten.

Vier zentrale, extrem verschiedene Kompositionen stehen im Zentrum seiner Betrachtungen: "Ein Überlebender aus Warschau" von Arnold Schönberg, die Metamorphosen von Richard Strauss, das War Requiem von Benjamin Britten und die 13. Sinfonie von Dmitrij Schostakowitsch.

Paarweise Beziehungen: Schönberg und Strauss

Zwei Komponisten, Schicksale und Beziehungen bringt der Autor jeweils paarweise zusammen. Da sind zum einen Schönberg und Strauss. Arnold Schönberg, der am Beginn der NS-Diktatur emigrieren musste, und Richard Strauss, der sich zunächst von den Nazis als Präsident der Reichsmusikkammer vereinnahmen ließ, nach einem abgefangenen Brief dann aber zurücktreten musste.

Schönberg war einer der Ersten, der nach dem Zweiten Weltkrieg den Holocaust in seinem "Überlebenden" explizit thematisiert hat. Dagegen hat Strauss nie klar formuliert, worin in seinen Metamorphosen getrauert wird. Der Autor spricht von einem "einmalig offenen Mahnmal", das von der Nachwelt auf Bereiche ausgedehnt werden kann, die der Komponist selbst offenkundig nicht sehen wollte.

Paarweise Beziehungen: Britten und Schostakowitsch

Das Verhältnis von Benjamin Britten und Dmitrij Schostakowitsch ist ein gänzlich anderes – beide waren sehr gut befreundet und verstanden die Botschaften in den Werken des jeweils anderen. Das wird in diesem Buch nicht zum ersten Mal thematisiert, jedoch fokussiert auf die beiden zentralen Werke, wenn etwa Schostakowitsch das War Requiem von Britten höher schätzte als das Requiem von Mozart.

Äußere Verbindungen zwischen den beiden Werken sind Kriegsverbrechen – im einen Fall die Bombenangriffe der deutschen Luftwaffe auf die englische Stadt Coventry, im anderen das Massaker der deutschen Wehrmacht an der jüdischen Bevölkerung von Kyjiw im Tal von Babyn Jar.

Aber auch die persönliche Situation der beiden Komponisten in ihren Ländern spielt eine wichtige Rolle: Britten, der als Pazifist vor dem Dilemma stand, seine Haltung angesichts solcher Verbrechen zu rechtfertigen, und Schostakowitsch, der unter den Gängelungen der sowjetischen Kulturpolitik zu leiden hatte – bis hin zur Gefahr für Leib und Leben.

Begegnung mit der Vergangenheit

Zentraler Leitgedanke bei Jeremy Eichler ist die Tatsache, dass sich diese historischen Ereignisse zeitlich immer weiter entfernen und es auch immer weniger Zeitzeugen gibt. Und er kommt zu dem Schluss: "Bald wird unser Kontakt mit den Kunstwerken, die ihre Zeit überlebt haben, eine der wenigen Möglichkeiten sein, dieser immer weiter entfernten Vergangenheit zu begegnen."

"Es bietet sich also an, diese Musikwerke als wesentliche Aufbewahrungsorte des kulturellen Gedächtnisses zu betrachten", so Eichler weiter, und er spricht von "Deep Listening", also einem "Zuhören im Wissen, dass die Musik ein Echo der Zeit darstellt".

Erhellendes Musikbuch

Jeremy Eichler gelingt es auf eine dichte, sinnliche und intensive Weise, die zeitgeschichtlichen Ereignisse mit den persönlichen Schicksalen zu verbinden. Schon allein die Materialfülle ist beeindruckend, aber noch mehr die Tatsache, dass der Autor keine abstrakten Fakten schildert, sondern diese Schicksale von Menschen dicht heranrückt. Das berührt und schockiert gleichermaßen.

Auch die Musik beschreibt Eichler in einer klaren, sehr bildhaften Sprache (hervorragende Leistung des Übersetzers Dieter Fuchs!). Und sein Resümee stimmt: "Werke, die als musikalische Denkmäler komponiert wurden, tun das aktiv. Sie fordern, dass wir der Vergangenheit mit den Ohren der Musik zuhören."

Ich habe lange nicht mehr ein derart intelligentes, beklemmendes und erhellendes Musikbuch gelesen.

Andreas Göbel, rbbKultur

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