Fantasy-Abenteuer - "Die Legende von Ochi"
Bekannt geworden ist Isaiah Saxon mit kultigen Musikvideos unter anderem für Grizzly Baer und Björk, in denen er handgemachte Puppenanimationen, Modellbauten, Computeranimation und Realfilm kombinierte. Nach der gefeierten Weltpremiere beim Sundance Festival kommt sein Spielfilmdebüt "Die Legende von Ochi" in unsere Kinos: ein ambitioniertes Fantasymärchen, das mit Willem Dafoe, Emily Watson und Finn Wolfhard prominent besetzt ist - in der Hauptrolle ist die "Systemsprengerin" Helena Zengel zu sehen.
Yuri ist ein Teenagermädchen, das in einer Landschaft aus schroffen Felsen und grünen Wiesen auf der fiktiven Insel Carpathia lebt, in einer archaischen Gesellschaft, in der die Zeit seit Jahrhunderten stehengeblieben zu sein scheint. Nachdem die Mutter Dasha (Emily Watson) die kleine Familie verlassen hat, lebt sie allein mit ihrem Vater Maxim (Willem Dafoe) auf einem heruntergekommenen Bauernhof: "Ich wurde auf einer kleinen Insel im Schwarzen Meer geboren", erzählt Yuri am Anfang des Films. "Die Leute sagen, es ist ein gefährlicher Ort, es gibt Bären und Wölfe - und noch etwas anderes …"
Im Kampf gegen diese diffuse Gefahr hat der Vater eine kleine Bürgerwehr aus Kindersoldaten aufgebaut.
Ochi - ein Mix aus Baby Yoda, Gremlin und E.T.
Ihr ganzes Leben lang wurde Yuri eingetrichtert, dass die Ochi eine lebensbedrohliche, monströse Gefahr darstellen. Doch dann findet sie ein in einer Bärenfalle feststeckendes Ochi-Baby, ein äffchenartiges Wesen, das mit großen Ohren, braunem Wuschelfell, türkiser Gesichtspartie und spitzen Zähnen wie eine Kreuzung aus E.T., Baby Yoda und den Gremlins aussieht. Das Ochi-Baby faucht sie mit gebleckten Zähnen an, Yuri holt kurzerhand ein Vampirgebiss aus einer Kiste und faucht zurück: "Alles gut", flüstert sie: "Ich werd dir nicht wehtun. Du bist nicht so wie alle sagen."
Mythen und Märchen, Natur und Fantasy
Schon das Aussehen des mythischen Wesens ist ein Hinweis auf die Wurzeln dieses Films im Kino der 80er Jahre, mit Abenteuer-, Fantasy- und Sciencefictionfilmen, zu denen auch "Die unendliche Geschichte" und "Der dunkle Kristall" gehören. Wie diese Filme ist auch "Die Legende von Ochi" eine Einladung in phantasievolle Parallelwelten von Mythen und Märchen und zugleich eine liebevolle Hommage an das analoge Abenteuerkino, mit dem der 1983 in Kalifornien geborene Regisseur Isaiah Saxon aufgewachsen und von dem er spürbar inspiriert ist: "In meiner Kindheit waren die größten Mysterien mit der Natur verbunden. Dieses Gefühl, dass alles möglich sei, möchte ich mit diesem Film an die Zuschauer weitergeben."
Mit handgemachten Tricks zu magischem Leben erweckt
Dazu gehört auch, dass das kleine Ochi-Baby ganz ohne Computeranimationen, mit klassisch analogen, handgemachten Tricks zum Leben erweckt wurde, als aufwendige Puppe, die von fünf Puppenspielern bewegt wird. Mit farblichen Akzenten in leuchtendem Türkis-, Gelb- und Pinktönen wird die nebelverhangene Naturidylle der Berglandschaft immer wieder märchenhaft aufgeladen.
Yuris Begegnung mit dem kleinen Ochi wird zum Auslöser einer Rettungsabenteuerreise, sehr zum Entsetzen ihres Halbbruders Petro. Im Laufe ihres Coming of Age-Abenteuers muss sich Yuri ihren eigenen Weg bahnen, zwischen dem kriegerischen Weltbild ihres Vaters, der sie mit seiner kleinen Kinderarmee unerbittlich jagt, und dem anderen Extrem ihrer naturverbundenen Mutter, die ihr vor langer Zeit die Sprache der Ochi beigebracht hat, wie sie irgendwann überrascht feststellt: "Ich kann mit dir reden!"
Die Systemsprengerin im Märchenwald
Reden ist natürlich eine übertriebene Bezeichnung für den Austausch von Lauten zwischen dem Äffchenwesen und dem menschlichen Wildfang. Helena Zengel verkörpert ihn mit ähnlich archaischen Gefühlsausbrüchen, wie die Systemsprengerin in ihrem Kinodebüt. Auch hier gibt es einen Moment, in dem ihre Hilflosigkeit in einem fast animalischen Schrei aus ihr herausbricht. Statt auf sprachliche Verständigung setzt Isaiah Saxon ganz konsequent auf visuelle Schauwerte, auf lautmalerische Töne und einen schwelgerisch-sinfonischen Soundtrack - unter anderem mit dem Song "Hounds of Love", in dem Kate Bush zum Alter Ego von Yuri wird: "When I was a child, running in the night, afraid of what might be, hiding in the dark, hiding in the street, and what was following me …"
Anke Sterneborg, radio3