Michael Maul: J.S. Bach - Wie wunderbar sind deine Werke © Insel
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Sachbuch - Michael Maul: "J.S. Bach - 'Wie wunderbar sind deine Werke!'"

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Bücher über Johann Sebastian Bach gibt es längst in unüberschaubarer Zahl, und man hat den Eindruck, dass irgendwie schon alles über diesen Komponisten geschrieben worden ist. Offenbar aber noch nicht genug – jetzt hat der Musikwissenschaftler und Intendant des Leipziger Bachfestes Michael Maul ein neues Buch verfasst.

Worum geht es? Zunächst einmal um das geistliche Vokalwerk von Johann Sebastian Bach, das dieser als Thomaskantor in Leipzig komponiert hat. Gleichzeitig steht Bachs Leipziger Zeit im Mittelpunkt – die großen Werke, aber auch der ganze dortige Ärger.

Leipziger Querelen

Denn eigentlich war das Thomaskantorenamt eine sehr gute Stelle, gut bezahlt und auch musikalisch attraktiv. Allerdings trat bald nach Bachs Amtsantritt eine neue Schulordnung in Kraft, und das hatte zur Folge, dass neue Schüler nicht nur wie bisher nach ihrer musikalischen Eignung aufgenommen wurden, sondern es sollten vornehmlich Kinder mittelloser Leipziger Bürger gefördert werden, auch wenn diese über kein musikalisches Talent verfügten.

Die Folge: Das Niveau des Thomanerchores ging deutlich zurück, und damit war Ärger vorprogrammiert, denn Bach war nicht gewillt, das kampflos hinzunehmen, und protestierte in scharfer Form dagegen.

Maul an Bach

Michael Maul geht an diese Komplexe stilistisch in zweifacher Hinsicht heran: Es gibt informative und klar analytische Teile mit punktuell sehr detaillierten Werkdraufsichten. Daneben aber auch eingeschobene Absätze, in denen der Autor Bach direkt anspricht. Letzteres ist zunächst ein wenig gewöhnungsbedürftig – der Grund dafür wird aber schnell klar: Es sind sehr wenige Dokumente erhalten, aus denen hervorgeht, wie Bach als Persönlichkeit gewesen sein musste.

Diese Form gibt dem Autor die Möglichkeit, aus den vorhandenen Dokumenten Details herauszuziehen und ein bisschen weiter zu spekulieren. Warum hat Bach was wie und wann komponiert? Was wollte er damit sagen, welche Botschaft steht dahinter? Darunter die Frage: Warum hat Bach drei gigantische Kantatenjahrgänge komponiert, und warum reißt die Produktion dann so plötzlich ab?

Gratwanderung

Das ist eine Gratwanderung – die allerdings aufgeht, weil Michael Maul einer der derzeit kompetentesten Bach-Kenner ist. Tatsächlich kommt der Autor dem Menschen Bach näher als bislang versucht wurde. Bach war wohl eine Persönlichkeit, die "ausgesprochen verletzt und stur reagieren konnte: wenn Ihre erreichten Künstlerischen Ziele eben nicht gewürdigt wurden."

Deutlicher wird auch der Blick auf Bachs musikalisches Handwerk: Er war wohl nur deswegen in der Lage, in oft kürzester Zeit komplexeste Werke zu schreiben, weil er ein so unfassbar musikalisches Genie war, das in Sekundenbruchteilen alles überblicken konnte. So ganz verstehen wird man das wohl nie können.

Der Blick hinter die Kulissen

Sicher, ein bisschen was Nerdiges hat das alles schon. Und die Analysen sind in ihrer Detailsicht mehr für Kenner gedacht. Was Michael Maul sehr gut macht: Damit man das auch alles hörend nachvollziehen kann, hat er eine Spotify-Playlist erstellt.

Nicht-Experten müssen da sicher über manches hinweglesen, und trotzdem lohnt sich die Lektüre für alle, die Bachs Musik schätzen und lieben, denn Michael Maul blickt hier sehr geschickt gewissermaßen hinter die Kulissen, und das eben nicht romanhaft, sondern bei allem Spekulativen höchst seriös und gewinnbringend.

Andreas Göbel, rbbKultur