Roman - Antje Rávik Strubel: "Der Einfluss der Fasane"
Gerade sorgt in Berlin ein neuer Fall von mutmaßlichem Machtmissbrauch am Theater für Schlagzeilen. Maskenbildnerinnen am Berliner Ensemble berichten von Mobbing und Ausbeutung in der aktuellen Ausgabe des "Spiegel". Der neue Roman der Potsdamerin Antje Rávik Strubel thematisiert ebenfalls Machtmissbrauch an einem Berliner Theater. "Der Einfluss der Fasane" ist damit brandaktuell.
Der neue Roman von Antje Rávik Strubel führt mitten hinein in die Kultur- und Medienszene Berlins und Potsdams. Im Zentrum steht Hella Karl, Feuilletonchefin einer großen Berliner Tageszeitung. Eines Morgens wirft sie eine Nachricht aus der Bahn: Kai Hochwerth, der fiktive Ex-Intendant einer der erfolgreichsten Hauptstadtbühnen, hat sich fernab der Heimat, in der australischen Sydney Opera, das Leben genommen.
"Es ging nicht um irgendeinen Toten. Es ging um den Mann, dem sie den Tod gewünscht hatte. Nicht laut. Nicht öffentlich. Ausgesprochen hatte sie das jedenfalls nie. Aber wenn sie in sich hineinhorchte, und angesichts der unerwarteten Meldung horchte sie für einen Moment sehr aufmerksam, musste sie zugeben, dass sie jüngst von diesem Wunsch befeuert worden war.“
Shitstorm und öffentlicher Pranger
Hat Hella Schuld an seinem Tod, hat sie ihn in den Selbstmord getrieben? Diese Frage steht im Raum, denn ein Leitartikel mit der Überschrift "Intendant zwingt Schauspielerin zur Abtreibung" hatte den Berliner Theater-Star vor nicht langer Zeit zu Fall gebracht. Plötzlich steht Hella am öffentlichen Pranger, sie erhält Drohnachrichten und Hass-E-Mails, das Video eines missglückten Interviews zu Hochwerths Tod, das Hella interessanterweise der Abendschau des rbb gibt, geht viral und bringt die renommierte Journalistin noch mehr in die Schusslinie. Sie wird als Kulturchefin suspendiert. Von heute auf morgen steht Hella ohne Macht und Job da. Die Kontrolle über ihr Leben entgleitet ihr.
Ganz anders als "Blaue Frau"
Es geht also in "Der Einfluss der Fasane" einmal mehr um Macht und Machtmissbrauch, und doch ist dieser Roman ganz anders als sein Vorgänger "Blaue Frau", für den Antje Rávik Strubel 2021 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Das war eine komplexe, fein verästelte, umfangreich recherchierte und auf verschiedenen Zeitebenen spielende Erzählung zum Thema Machtmissbrauch, die das Trauma einer Vergewaltigung mit Europapolitik, Erinnerungskultur in Ost und West und die Selbstermächtigung einer Frau vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte klug verknüpfte.
"Der Einfluss der Fasane" ist im Vergleich eher heiter. Eine ironisch-spöttische Geschichte aus dem Zentrum der medialen Macht, die sich auch den Spaß macht, aktuelle kulturpolitische Debatten der jüngeren Zeit aufzugreifen.
Machtbewusst und ambivalent
Im Gegensatz zu Adina in "Blaue Frau" ist Hella in dieser Erzählung von Macht und Ohnmacht eine höchst ambivalente Figur und auf den ersten Blick nicht gerade eine Sympathieträgerin. Sie ist Opfer und Täterin, machtversessen und verletzlich zugleich, egoistisch, eine Bildungsaufsteigerin, karrierebewusst und hart zu sich und anderen, vor allem zu anderen Frauen. Auf dem Höhepunkt der #MeToo-Debatte hatte sich die Journalistin in Artikeln und Talkshows oft auf die Seite der Männer geschlagen:
"(…) Da musste zumindest auch über Begehren und Enttäuschung geredet werden. Aber das Anprangern von Männern hatte in letzter Zeit so an Fahrt aufgenommen, dass man den Eindruck haben konnte, überall, wo eine Frau auftauchte, war ihr schon ein Gewalttäter auf der Spur. Kein Wunder, dass die Männer Angst bekamen. Manchmal, hatte Hella Karl das Gefühl, verstand sie die Männer besser als die Frauen“.
Auch den Skandal um den Theaterintendanten Hochwerth, einen nachweislich frauenfeindlichen Tyrann, hat sie weniger aus aufklärerischen Motiven oder etwa aus Gerechtigkeitssinn aufgedeckt denn aus persönlichen Gründen. Hatte Hochwerth sie doch einst am Anfang ihrer Zeit als Kulturchefin ihres Blattes öffentlich brüskiert.
Kontrollverlust vor Lokalkolorit
Antje Rávik Strubel hat mit Hella Karl eine höchst spannende Figur erschaffen. Als Leserin folgt man ihr auf 240 Seiten dabei, wie sie versucht die Kontrolle über ihr Leben zurückzubekommen, und sich dabei auch unangenehme Wahrheiten einzugestehen. All das geschieht vor viel Lokalkolorit. Man düst mit Hella im Auto zwischen ihrem Wohnort, einem Villenviertel in Potsdam, und Berlin hin und her, sitzt mit ihr im Promi- und Nobel-Restaurant "Borchardt", begleitet sie zum Kulturempfang im Bundeskanzleramt ("Das Glas reichte ihr die Kanzlerin persönlich.") und in die Redaktion. Ihr Mann arbeitet als Architekt am umstrittenen Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam mit.
Ein wenig unentschieden
"Der Einfluss der Fasane" ist ein Berlin-Brandenburg-Roman, der sich am Ende nicht ganz entscheiden kann, was er sein möchte: eine Satire auf den Medien- und Kulturbetrieb, das Porträt einer Frau zwischen Macht und Ohnmacht, eine Studie über Machtgefälle und Machtmissbrauch in der Kulturszene? Er ist alles gleichzeitig. Nebenbei wird auch die Krise der Zeitungsbranche und die Frage nach einem verantwortungsvollen Journalismus behandelt, ebenso wie Machtgefüge und Begehren in der privaten Paarbeziehung und die Prägung durch Klasse und Herkunft.
Diese vielen gedanklichen Schleifen nehmen dem Roman ein bisschen von seiner Schärfe und Zuspitzung. Auch bleibt er wie seine Hauptfigur eher ambivalent in seiner Haltung. Aber "Der Einfluss der Fasane" liest sich packend wie ein Thriller, hat viel Wiedererkennungswert für in Berlin und Potsdam Lebende und macht deshalb Spaß. Außerdem hat er mit Hella eine spannende, eher ungewöhnliche Hauptfigur in die Welt gesetzt. Insgesamt lesenswert.
Nadine Kreuzahler, radio3